Rinder auf Tinder

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Eltern sind ja mitunter nervig. Das weiß jedes Kind aus leidvoller eigener Erfahrung. Ich natürlich auch. Trotzdem traf es mich recht unerwartet, als mir Krumpfz vor einigen Monaten bescheinigte: „Mama, du nervst mich!“

Besonders nervig bin ich anscheinend, wenn ich ihn morgens erst freundlich, dann mit Nachdruck und am Ende machmal auch völlig genervt (Aha!) darum bitte, sich für den Kindergarten fertig zu machen. Und supernervig bin ich wohl auch, wenn ich Kinderlieder singe. Da kriegt Krumpfz manchmal sogar so richtig schlechte Laune.

Das liegt allerdings nicht an meinen begrenzten Sangeskünsten (die ich hier offen eingestehe), wie man vermuten könnte. Vielmehr sind die Kinderlieder, die ich Krumpfz jahrelang vorgesungen habe, einfach nicht mehr cool. Während wir den kleinen, knapp 10 Monate alten Krumpfz im Stau bei Amsterdam noch mit endlosen, auch eigenen Variationen des Katzentatzentanzliedes von Fredrik Vahle bei Laune halten konnten, erntete ich in den letzten Monaten immer ein „Och nö, nicht das Lied!“ oder besagtes „Mama, du nervst!“ von meinem Sohnemann, sobald ich nur die erste Strophe anstimmte. Hoch im Kurs stehen dagegen Songs wie „Mama Lauda“ von Almklausi oder „Captain Laminiergerät“ von Eure Mütter. Und „Cotton Eye Joe“ von Rednex war (von mir selbst verschuldet) das meist gehörte Lied des Jahres 2022. Wir Eltern sind deshalb geradezu dankbar, dass Krumpfz‘ neuerliches Interesse für Blasmusik vor allem mit dem Hören des Albums „Danzn“ von LaBrassBanda befriedigt werden kann.

Dass Krumpfz die alten Kinderlieder, die ich selbst noch auf Kassette gehört (und geliebt) habe, nicht mehr mag, macht mich schon etwas wehmütig. Denn „Anne Kaffeekanne„, das emanzipierte Mädchen, das sich weder von den Inuit, noch vom Löwen oder vom Förster im Schwarzwald etwas sagen lässt, die mysteriösen Higgelty, Piggelty, Pop und Pu oder die Katze, die mit keinem Tier tanzen will (aber dann doch mit jedem tanzt!) sind mir seit meiner eigenen Kindheit treue Begleiter. Ich glaube, ich werde auch nie vergessen, wie mein Mann und ich beim Katzentatzentanzlied im Stau vor Amsterdam neue Strophen für den kleinen Krumpfz auf der Rückbank unseres Autos erfanden, damit der bloß nicht zu weinen anfing:

„Guck‘ die Katze tanzt allein, tanzt und tanzt auf einem Bein.
Guck‘ die Katze tanzt allein, tanzt und tanzt auf einem Bein.
Kam der Walfisch zu der Katze: ‚Bitte reich‘ mir deine Tatze!‘
‚Mit dem Walfisch tanz‘ ich nicht, ist mir viel zu rie-hi-sig!'“,

erfand ich zum Beispiel, während mein Mann dazu dichtete:

„Guck‘ die Katze tanzt allein, tanzt und tanzt auf einem Bein.
Guck‘ die Katze tanzt allein, tanzt und tanzt auf einem Bein.
Kam die Qualle zu der Katze: ‚Bitte reich‘ mir deine Tatze!‘
‚Mit der Qualle tanz‘ ich nicht, ist mir viel zu wabbelig.'“

Weitere Strophen dieser Art sind leider im Nirvana meines Gedächtnisses verschwunden. Ich hätte sie aufschreiben sollen! Ich erinnere mich nämlich noch daran, dass mein Mann und ich vor Lachen teilweise nicht halten konnten. Und das im Stau auf der Autobahn!

Nun habe ich aber seit drei Monaten zum Glück eine neue, begeisterte Zuhörerin: Miss Pöffz. Als sie kurz nach ihrer Geburt eine Phase hatte, in der sie das Wickeln (womit man sich ja im ersten Lebensjahr gefühlt ständig beschäftigt ist) total blöd fand, suchte ich verzweifelt nach Ablenkungsstrategien. Und da fielen mir die alten Kinderlieder wieder ein. Unter anderem kam mir dieses Mal das Lied „Meine Biber haben Fieber“ von Wolfgang Hering in den Sinn, das ich selbst erst in der Jugend auf irgendeiner Kirchenfreizeit kennengelernt hatte. Es geht so:

Meine Biber haben Fieber, oh die Armen!
Will sich keiner denn der armen Tier‘ erbarmen?
Meine Biber haben Fieber, sagt der Farmbesitzer Sieber,
Hätt‘ ich selber lieber Fieber und den Bibern ging es gut!

Meine Mäuse haben Läuse, oh die Armen!
Will sich keiner denn der armen Tier‘ erbarmen? 
Meine Mäuse haben Läuse, ach, es kribbelt im Gehäuse,
Hätt‘ ich selber lieber Läuse und den Mäusen ging es gut!

Meine Hasen haben Blasen, oh die Armen!
Will sich keiner denn der armen Tier‘ erbarmen? 
Meine Hasen haben Blasen, vom Grasen auf dem Rasen,
Hätt‘ ich selber lieber Blasen und den Hasen ging es gut!

Meine Hummer haben Kummer, oh die Armen!
Will sich keiner denn der armen Tier‘ erbarmen? 
Meine Hummer haben Kummer, sagt der Zoologe Brummer,
Hätt‘ ich selber lieber Kummer und den Hummern ging es gut!

Natürlich ist das Lied viel zu kurz für eine volle Windel, deshalb musste ich auch hier Strophen hinzudichten (die ich teilweise auch schon Krumpfz vorgesungen und seither nicht vergessen habe). Die gehen so:

Meine Katzen machen Fratzen, oh die Armen!
Will sich keiner denn der armen Tier‘ erbarmen? 
Meine Katzen machen Fratzen von dem Kratzen an Matratzen,
Macht‘ ich selber lieber Fratzen und den Katzen ging es gut!

Meine Hunde haben Schrunden, oh die Armen!
Will sich keiner denn der armen Tier‘ erbarmen? 
Meine Hunde haben Schrunden von den vielen Spazierrunden,
Hätt‘ ich selber lieber Schrunden und den Hunden ging es gut!

Meine Rinder sind auf Tinder, oh die Armen!
Will sich keiner denn der armen Tier‘ erbarmen? 
Meine Rinder sind auf Tinder – ach, das ist doch nichts für Kinder!
Wär‘ ich selber lieber auf Tinder und den Rindern ging es gut!

Die letzte Strophe ist tatsächlich brandneu. Als ich sie zum ersten Mal sang – über Miss Pöffz und ihre volle Windel gebeugt – lugte plötzlich ein blonder Jungenkopf durch den Spalt der Badezimmertür: „Sing‘ das nochmal!“, rief Krumpfz. Und dann war kurz alles wie früher: Ich sang auch meinem großen Kind etwas vor. Einziger Nachteil: Er will jetzt immer wissen, was eigentlich dieses Tinder ist.

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