Eigentlich ist Krumpfz ein guter Esser. Egal, ob Rote Beete-Kartoffel-Fisch- oder Möhre-Fenchel-Fleisch-Brei – bisher hat er alles mit weit geöffnetem Mund in sich hineinlöffeln lassen. Super, dachte ich, Beikost läuft bei uns! Aber seit letztem Samstag werde ich von meinem Sohn eines Besseren belehrt. Da fing er beim Verspeisen des Abendbreis ganz unvermittelt an zu weinen. Obwohl mein Mann und ich daraufhin liebevoll auf ihn einredeten, war er nicht mehr zu beruhigen. Den Rest der milchigen Getreidepampe musste ich essen.
Erst dachten wir, Krumpfz hätte sich vielleicht am Brei verbrannt und deshalb so geschrien. Doch auch am nächsten Abend geriet Krumpfz nach ein paar Löffeln des dieses Mal perfekt temperierten Grieß-Birne-Gemischs erneut völlig außer sich. Ganz rot lief er an vor lauter Empörung. Wir verwarfen unsere erste Hypothese und stellten eine neue auf: Vielleicht tat ihm etwas im Mund weh? Vielleicht eine Entzündung? Vielleicht die (noch nicht vorhandenen) Zähne?
Als Krumpfz am Montag dann schon beim Anblick des von mir liebevoll gekochten Süßkartoffel-Karotte-Apfel-Hafer-Kartoffel-Breis in dicke Krokodilstränen ausbrach, wurde mir die Situation langsam unheimlich. Ich rief bei unserem Kinderarzt Dr. Flussfarmer* an, um einen Rat einzuholen. „Also telefonisch können wir das nicht beurteilen, da müssten Sie schon mit Ihrem Sohn vorbeikommen“, ordnete die Sprechstundengehilfin am anderen Ende der Leitung an.
Also trug ich Krumpfz am nächsten Morgen zu Dr. Flussfarmer. Der untersuchte Krumpfz’ Mund ganz genau – und fand nichts. „Also organisch ist alles in Ordnung“, sagte er und blickte mich durch seine runde Hornbrille leicht amüsiert an, „Das ist wohl einfach eine Phase.“
Ach, das Mantra von den Phasen! Wie oft wurde es mir schon vorgebetet und wie oft habe ich es schon selbst beschworen? „Es ist nur eine Phase“ ist der ultimative Beruhigungs- und Motivationssatz für verunsicherte und/oder besorgte Eltern. Das Baby schläft nachts schlecht? – Das ist nur eine Phase! Das Baby schläft tagsüber nicht mehr? – Das ist nur eine Phase! Das Baby kann nicht allein sein? – Das ist nur eine Phase! Das Baby fremdelt? – Das ist nur eine Phase! Das Baby zahnt? – Das ist nur eine Phase!
Das Erstaunliche daran: Mir hilft der Satz wirklich! Gerade erst vor der Breiverweigerungsphase hatte Krumpfz mehrere Wochen lang das ständige Bedürfnis, sich zu vergewissern, dass ich nicht spontan nach Venezuela ausgewandert bin. Tagsüber konnte ich mich nicht aus seinem Sichtfeld bewegen, ohne dass er in schreckliches Gezeter ausgebrochen wäre. Und nach dem Einschlafen musste ich alle 15 bis 20 Minuten zu meinem weinenden Sohn ins Schlafzimmer sprinten, um ihm zu beweisen, dass ich mich nicht heimlich davongemacht hatte. Das war eine echt anstrengende Zeit! Ratlos schrieb ich meiner Freundin in Berlin, deren Sohn fast genau ein Jahr älter ist als Krumpfz. „Ja“, antworte sie auf meine Frage, ob sie das auch kenne. Und: „Es ist nur eine Phase.“ Und tatsächlich: Gerade, als ich mich damit abgefunden hatte, keinen ruhigen Abend mehr auf dem Sofa verbringen zu können, wachte Krumpfz nach dem Einschlafen erst dreieinhalb Stunden später zum ersten Mal wieder auf – was mir kurzfristig Sorgenfalten ins Gesicht schrieb, weil ich diese Normalität gar nicht mehr gewohnt war.
Leider gilt die Regel „Es ist nur eine Phase.“ auch für die für Eltern positiven Entwicklungen. Die Phase, in der sich Krumpfz eine halbe Stunde allein unter seinem Spielbogen beschäftigen konnte, während ich in der Küche aufräumte und kochte, ist leider schon lange vorbei. Genauso ist die von mir viel zu wenig gewürdigte Phase passé, in der Krumpfz von fünf Uhr abends bis ein Uhr nachts durchschlief und sich beim gelegentlichen Wachwerden auch von meinem Mann wieder in den Schlaf begleiten ließ (ich hätte da jeden Abend ins Kino, zum Sport oder was trinken gehen sollen!!!). Und wie trauere ich manchmal der Phase hinterher, in der Krumpfz täglich noch mehr schlief, als dass er wach war – was hatte ich da noch an Zeit für alles andere!
Insofern nehme ich die Phasen jetzt, wie sie kommen. Und bin gespannt, wie viele es noch werden. Ich fürchte, noch einige – und dann kommt die Pubertät.
* Der – wer hätte es gedacht – natürlich ganz anders heißt.
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