Der blaue Elefant

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Seit ein paar Wochen haben wir einen neuen Mitbewohner. Ich bin mir noch nicht ganz sicher, was ich von ihm halten soll: Er kommt und geht, wann er will und sein Benehmen ist oft etwas ungehobelt. Und dazu – das ist vielleicht nicht ganz unerheblich – ist er ein blauer Elefant.

Der blaue Elefant zog irgendwann um Weihnachten hier ein. So ganz genau wissen wir es aber nicht mehr, weswegen sich sein erstes Auftauchen nur noch grob rekonstruieren lässt: Krumpfz alberte mit seinem Papa im Wohnzimmer herum, wahrscheinlich waren Kissen und verschiedene Kitzelmanöver Teil der Szenerie. Irgendwann in diesem Durcheinander nannte mein Mann Krumpfz eine „Quatschnudel“, worauf letzterer kurz innehielt und mit ernster Miene insistierte: „Nein, ein blauer Elefant!“

Seither taucht der blaue Elefant immer mal wieder bei uns auf – besonders oft beim Mittagessen. Er ist dann meist ganz schön frech, macht Dinge, die wir Eltern nicht mögen oder ist einfach nur ziemlich albern. Meist ist er nach kurzer Zeit wieder verschwunden.

Vor ein paar Wochen saßen wir zum Beispiel nach dem Essen noch ein paar Minuten am Esstisch und wir Eltern unterhielten uns (was mit Kleinkind ja schon Herausforderung genug ist). Vermutlich um nicht in Vergessenheit zu geraten, nahm Krumpfz einen großen Schluck „Bitzelwasser“ und rülpste (oder versuchte es zumindest). Mit breitem Grinsen und erwartungsvollen Augen sah er uns an und wartete auf unsere Reaktion. Von seinem Papa wollte er sicherlich lobende Worte hören, hatte er ihn doch erst Tage zuvor in die Geheimnisse des männlichen Urgeräuschs eingeweiht. Ich, die ich gut auf Rülpskonzerte am Tisch (und im Leben generell) verzichten kann, verzog hingegen das Gesicht: „Och nö, Krumpfz! Nicht machen, das ist ekelig!“ Von diesem Verbot und dadurch, dass sich mein Mann seinen väterlichen Stolz und ein Lachen nur schwer verkneifen konnte, animiert, setzte Krumpfz erneut den Becher an, trank einen großen Schluck und versuchte sich an einem neuen Rülpser. Wieder schaute er uns mit einem herausfordernden Lachen an. „Du bist ein Frechdachs, weißt du das?“, sagte ich mit gespieltem Ärger, aber nun doch mehr lachend. Da guckte mich Krumpfz plötzlich ernst an und sagte bestimmt: „Nein, ein blauer Elefant!“

Woher der blaue Elefant kommt, wissen wir nicht. Klar hat Krumpfz längst Bekanntschaft mit dem kleinen blauen Elefanten, dem treuen Freund der Maus, gemacht. So richtig viel hatte er mit ihm aber noch nie am Hut. Er kennt zwar die Maus-Spots (die wir ihm eine Zeit lang beim Wickeln und beim Frisör vorgespielt haben, um überhaupt an ihn heranzukommen). Und er hat auch ein entsprechendes Kuscheltier von uns geerbt (warum auch immer wir Erwachsenen so etwas besitzen!). Aber die Begeisterung für Maus-Spots ist längst einer für Videos über Bau- und Landmaschinen gewichen und der blaue Kuschelelefant konnte sich (wie alle anderen Kuscheltiere) nie richtig gegen das braune Kissen durchsetzen.

Immerhin scheint das Elefanten-Alter-Ego aber in der Familie zu liegen: Wir Eltern sind laut Krumpfz nämlich auch blaue Elefanten und sogar die Großeltern sind Teil unserer Dickhäuter-Dynastie. Wenn Sie also demnächst irgendwo eine Horde blauer Rüsseltiere sehen – das wären dann wir.

Dätschi!

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Ich komme ja aus einer Winke-Familie. Was das ist? Nun, den Begriff habe ich selbst erfunden. Er bezeichnet die Art und Weise, wie man sich in meiner Familie verabschiedet – nämlich durch exzessives Winken. Zumindest war das früher so, als wir noch mit drei Generationen unter einem Dach wohnten. Ich erinnere mich noch daran, wie ich mit meiner Mutter immer im Haustürrahmen stand, während meine Tante und mein Onkel nach einem Besuch in ihren dunklgrünen Nissan stiegen und fortfuhren. Ich war dann immer etwas traurig. Aber spätestens, wenn mein Onkel dann die Warnlichter anmachte und hupte, während er das Auto die Straße hinuntersteuerte und wir den beiden wie wild hinterherwinkten, war die Szene auch gleichzeitig so witzig, dass ich die Traurigkeit über den Abschied kurz vergaß.

Auch sonst wurde in meiner Familie immer viel gewunken: Wenn Opas Familie aus Brandenburg kam, stand zum Abschied unsere ganze Familie vor der Haustür und winkte, bis die Verwandtschaft mit ihrem Auto an der nächsten Kreuzung abbog. Wenn ich mit meinen Eltern in den Urlaub fuhr, standen meine Großeltern vor dem Haus und winkten uns mit besorgtem Blick hinterher – dabei fuhren wir doch nur nach Bayern und nicht ans andere Ende der Welt! Und auch als ich schließlich von zu Hause auszog, winkten mir meine Eltern tapfer hinterher, als ich in meinem voll beladenen Peugeot die Heimat verließ.

Umso erstaunlicher war es also, dass Krumpfz von diesem Winke-Gen so scheinbar gar nichts abbekommen hatte. Während andere Babys schon mit sieben Monaten zum Abschied fleißig winkten, zeigte sich Krumpfz bei Abschieden unbeeindruckt: Er ignorierte sie einfach. Weder wir Eltern, noch die Großeltern oder gar Freunde konnten von ihm eine Abschiedsgeste erwarten.

Später, als ich nach einem Jahr als Vollzeit-Mama wieder arbeiten ging, quittierte Krumpfz mein Fortgehen zunächst mit Weinen und herzzerreißenden Rufen nach „Mama“, während ich schlechten Gewissens durch das Treppenhaus davoneilte. Zwar gewöhnte er sich irgendwann an den Zustand, dass Mama morgens das Haus verließ – verabschieden wollte er sich aber immer noch nicht. Auch wenn mein Mann ihn morgens in der Krippe abgab, war aus Krumpfz kein „Tschüss“ herauszubekommen. Stattdessen ließ er meinen Mann einfach stehen.

Dafür bekam sein Freund Tom*, der sich, unbeirrt von Krumpfz‘ Ignoranz, nach jeder Begegnung fröhlich verabschiedete, irgendwann als Erster ein „Tschüss, Tom!“. Und auch bei mir begann sich Krumpfz manchmal und dann zaghaft zu verabschieden. So richtig warm wurde er mit der Situation aber nicht, das merkte man.

Doch als wir Eltern gerade beschlossen hatten, dass das Abschiednehmen einfach nicht Krumpfz‘ Ding war, und wir uns höflich bei jedermann für das Nichterwidern eines „Tschüss, Krumpfz!“ entschuldigten („Er hat’s nicht so mit Abschieden.“), entdeckte Krumpfz plötzlich das Winken für sich. Quasi über Nacht wurde aus dem eher mürrischen Abschiednehmer ein enthusiastischer Winker. Fortan wurden all unsere Gäste mit überschwänglichem Gefuchtel und einem „Tschüssi! Bye, bye“ von einem fröhlich lachenden Krumpfz‘ verabschiedet.

Gleichzeitig interessierte sich Krumpfz plötzlich für unsere verschiedenen Abschiedsformeln, die ich ihm eines Abends im Bett alle aufzählen musste. So fanden wir heraus, dass Opa Micha „Tschaui“ sagt, während Oma Marianne eher „Tschüssi“ verwendet, Papa wiederum „Bye, bye!“ benutzt und Mama „Tschüüühüüüs!“ ruft. Irgendwann, als wir alle Mitglieder unserer zugegebenermaßen kleinen Familie durchhatten, hatte Krumpfz noch immer nicht genug. „Was noch?“, fragte er und sah mich mit erwartungsvollen Augen an. Spontan fiel mir da nichts Besseres als „Arrivederci!“ ein und ich erklärte Krumpfz, dass die Menschen auf der anderen Seite der Berge sich so verabschiedeten.

Am nächsten Morgen hatte ich unseren abendlichen Exkurs ins Italienische schon längst wieder vergessen. Doch als ich mich von Krumpfz mit Winken und „Tschüüühüüüs!“ verabschiedete, schaute er mich plötzlich erwartungsvoll an: „Was noch?“ Ich dachte nach. Dann fiel es mir wieder ein: „Arrivederci!“ Krumpfz lachte, winkte und rief „Dätschi Mama!“. Und was soll ich sagen? Seither ist das wahrscheinlich furchtbar falsch ausgesprochene „Arrivederci!“ die Abschiedsformel, die Krumpfz immer auch noch von mir hören will. Ich fürchte, ich muss jetzt doch noch Italienisch lernen.

* Der im echten Leben anders heißt.

 

Über elterliche Fehltritte

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Vor zwei Jahren, als Krumpfz noch ein kleines Baby war, das viel (auf mir) geschlafen hat (Gott, waren das traumhafte Zeiten!), habe ich einige Baby- und Kleinkind-Ratgeber gelesen, um meinem Kopf etwas zum Nachdenken zu geben und um den schlafenden Winzling auf mir (besser) zu verstehen. Mein Lieblingsbuch ist bis heute „Das gewünschteste Wunschkind aller Zeiten treibt mich in den Wahnsinn“ , das den vielversprechenden Untertitel „Der entspannte Weg durch Trotzphasen“ trägt. Hier las ich auf fast 300 Seiten zum Beispiel von der kleinen Miriam, die völlig ausrastet, wenn ihr aus Versehen ein Keks zerbricht und von Marc, der völlig außer sich gerät, als er im Schwimmbad kein Eis haben darf. Und ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass aus meinem süßen, zarten Baby-Krumpfz auch einmal so ein schwer ertragbarer Wüterich werden würde.

Gut anderthalb Jahre später mussten wir Eltern allerdings einsehen, dass auch unser bisher sehr kooperatives Kind ordentlich Eskalationspotential hat. Im Mai wähnten wir uns auf dem Höhepunkt der bisherigen Wutskala – und nahmen an, dass Krumpfz‘ Zornesattacken nun bald wieder seltener würden. Doch weit gefehlt – seit ungefähr einem Monat ist das Zusammenleben mit Krumpfz wie ein täglicher Tanz auf dem Popocatepetl! Jeder noch so kleine Fehltritt unsererseits führt zu einem Ausbruch bisher unbekannten Ausmaßes: Krumpfz beginnt zu weinen, zu schreien und wie wild mit den Füßen zu stampfen. Können (oder wollen) wir Eltern dann nicht sofort Abhilfe schaffen bzw. Abbitte leisten, steigert sich Krumpfz‘ Koller so weit, dass er schließlich auf dem Boden liegt und seine Stirn auf den Untergrund hämmert (was wehtun muss und den einen oder anderen blauen Fleck produziert).

Was wir Rabeneltern verbrochen haben? Hier eine kleine, unsortierte Auswahl unserer gravierenden Fehltritte, die Krumpfz in den letzten Tagen in Rage versetzt haben:

  • Krumpfz wird wach und nur Papa ist da.
  • Es gibt keine Schoko-Kekse zum Frühstück.
  • Krumpfz möchte keine Banane in sein Schoko-Porridge.
  • Krumpfz möchte „doch Banane“.
  • Papa schmiert Krumpfz‘ Brotscheibe nur, schneidet sie aber nicht in Streifen.
  • Papa schneidet das Brot nach dem ersten Wutausbruch sofort in Streifen und kann es auf Kommando („Wieder zusammenbauen!“) nicht wieder heile machen.
  • Papa klebt die Brotstreifen mit Butter wieder zusammen („In Streifen schneiden!“).
  • Oma deckt die lilafarbene Gabel auf und nicht den lilafarbenen Löffel.
  • Mama weigert sich, die lilafarbene Gabel postwendend zurück in die Küche zu bringen.
  • Der rote Löffel ist nicht auffindbar und kann daher nicht benutzt werden.
  • Der blaue Löffel ist dreckig und kann daher nicht benutzt werden.
  • Der grüne Becher ist falsch.
  • Der weiße Becher ist leer.
  • Der weiße Becher ist zu voll.
  • Das überschüssige Wasser aus dem weißen Becher darf nicht in die Flasche zurückgeschüttet werden.
  • Mama tut etwas Bolognese-Soße auf Krumpfz‘ Nudeln, nachdem Krumpfz Soße auf seine Nudeln wollte.
  • Krumpfz will seine Nudeln nicht ohne Sauce essen („Doch Soße!“).
  • Krumpfz will nicht am großen Tisch essen, sondern am kleinen.
  • Krumpfz will auch nicht am kleinen Tisch essen.
  • Mama darf nicht neben Krumpfz sitzen („Mama weggehen! Mama nicht da sitzen!“).
  • Mama darf aber auch nicht weggehen.
  • Mama holt einen Waschlappen, nachdem Krumpfz wollte, dass man ihm die Hände abputzt.
  • Mama holt keinen Waschlappen, sondern nur ein Küchentuch, nachdem Krumpfz wollte, dass man ihm die Hände abputzt.
  • Krumpfz soll seine Winterjacke anziehen, weil draußen Temperaturen von knapp über Null herrschen.
  • Krumpfz soll seine Schuhe anziehen.
  • Mama geht auf Toilette.
  • Mama holt Krumpfz mit dem Auto von der Kita ab.
  • Mama besteht darauf, mit dem Auto nach Hause zu fahren, damit das Auto nicht auf dem Kita-Parkplatz zurückbleibt.
  • Krumpfz darf das Auto nicht alleine fahren.
  • Krumpfz darf auch nicht auf dem Beifahrersitz mitfahren.
  • Mama drückt gedankenverloren auf den Etagenknopf im Aufzug („Leine machen!“).
  • Mama schließt die Wohnungstür allein auf.
  • Mama will Krumpfz helfen, die Wohnungstür aufzumachen („Leine machen!“).
  • Mama sitzt resignierend auf dem Schuhschrank neben der Wohnungstür und hilft Krumpfz nicht dabei, die Wohnungstür zu öffnen.
  • Mama bietet als Nachmittagssnack nur Obst und Kekse an, weil die Schoko-Kekse leer sind.
  • Mama singt („Mama nicht singen!“).
  • Papa singt („Papa nicht singen!“).
  • Papa (und nicht Mama) will Krumpfz wickeln.
  • Papa (und nicht Mama) will Krumpfz ins Bett bringen.
  • Mama will Krumpfz die Zähne mit der elektrischen Zahnbürste putzen („Leine machen!“).
  • Krumpfz darf keine von Mamas Schmerz-Tabletten essen.
  • Mama deckt Krumpfz mit der Decke zu.
  • Papa hält im Bett zu wenig Abstand zu Krumpfz.
  • Krumpfz wird nachts wach und will etwas aus seinem Trinklernbecher trinken. Mama drückt auf den Becher-Deckel, um den Unterdruck im Becher abzubauen.
  • Mama drückt nachts nicht auf den Deckel, bevor sie Krumpfz den Becher reicht.
  • Krumpfz träumt von einer der oben genannten Gemeinheiten und wacht auf.

Ich könnte diese Liste noch endlos weiterführen… aber ich denke, dass Krumpfz‘ Willkürherrschaft auch so recht deutlich wird. Besonders schlimm lief es für mich in den letzten zwei Tagen, als Krumpfz einen Infekt ausbrütete und dementsprechend noch wütender war. Als ich ihm gestern Abend dann so gar nichts mehr recht machen konnte und er von einem Lamento ins nächste geriet, schlug ich schließlich vor, noch eine Runde mit dem Laufrad durch die Stadt zu fahren. Unterwegs trafen wir eine meiner Kolleginnen, die selbst zwei Teenie-Töchter hat.

Sie: „Und? Wie geht’s?“

Ich: „Ach, du, der Kleine ist krank und sowieso gerade unausstehlich.“

Sie: „Oh, seid ihr in der Phase, in der das Brot immer auf der falschen Seite bestrichen wird?“

Ich: „Ja.“

Sie: „Oh, das ist bitter! Das ist so anstrengend! Und am liebsten würde man das Kind mal so richtig anschreien – aber das geht ja nicht wegen der Erziehung und so. Aber glaube mir, das ist nur ’ne ganz kurze Phase! Die geht auch wieder vorbei!“

Ich lächelte müde, während sie mich umarmte und schnell weiterhastete, um ihre Tochter irgendwo abzuholen.

Heute Morgen – ausgeschlafen und wieder etwas nervenstärker als am Vorabend –  versuchte ich also den ersten Wutanfall meines Sohnes* leicht zu nehmen und begann, leise vor mich hinzusingen – was natürlich auch nicht richtig war: „Mama nicht singen!“ „Okay. Darf ich denn wenigstens atmen?“ „Nein!“

Also das finde ich nun doch etwas viel verlangt! Denn wenn mir eins in den letzten Wochen geholfen hat, dann ist es tiefes Durchatmen. Damit mich mein gewünschtestes Wunschkind nicht in den Wahnsinn treibt.

*Ich hatte ihm Milchschaum gebracht, nachdem er Milchschaum trinken wollte. 

Steinreich

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Seit einem halben Jahr ist Krumpfz Petrologe. Oder anders gesagt: Steinkundler. Oder nochmal anders gesagt: Steinsammler. Das Ergebnis: Wir sind inzwischen eine steinreiche Familie und können nicht nur ein Kilogramm Bachkiesel, sondern auch verschiedenste Gesteinsbrocken und -bröckchen unser Eigen nennen. Das hatten wir so nicht kommen sehen.

Zu Beginn von Krumpfz‘ petrologischer Leidenschaft waren wir Eltern noch sehr erfolgreich, die zum Teil mit Pinzetten-Griff mühevoll geborgenen Exponate unseres Sohnes außerhalb der Wohnung zu belassen. So konnte man die ersten Mini-Steine, die Krumpfz mühevoll aus den Fugen der Pflastersteine vor unserem Haus kratzte und uns dann stolz präsentierte, noch in einem unbeobachteten Moment im nächsten Blumenbeet verschwinden lassen. Er vermisste sie anschließend nicht, sondern war schon mit der Bergung der nächsten Handvoll Steine beschäftigt. Inzwischen allerdings hat Krumpfz eine enge Beziehung zu gefühlt jedem seiner Steine aufgebaut. Der Verlust eines Einzelnen kann in die Apokalypse führen. Deswegen verteilen sich seine Schätze inzwischen nicht nur in Buggy, Fahrradanhänger und Kita, sondern auch in unserem Wohnzimmer. Einige Steine müssen sogar abends – gut im Anhänger seines Spielzeug-Traktors verstaut – mit in sein Gitterbettchen.

Begonnen hatte alles im Frühjahr auf der Insel Mallorca. Dort bewohnten wir weit weg vom Ballermann-Tourismus eine kleine Finca mit riesigem Garten. In letzterem befand sich ein kleines Spielhäuschen mit unendlich viel Spielzeug. Wir Eltern glaubten, uns damit ein paar ruhige Minuten auf der Sonnenliege erkaufen zu können. Tatsächlich aber war das Spielzeug (bis auf den kleinen, rosafarbenen Buggy, den es dort gab und der der Anfang einer bis jetzt andauernden Buggy-Begeisterung war) insgesamt eher uninteressant für unseren Sohnemann. Stattdessen saß er täglich und mit anhaltender Begeisterung auf dem zur Finca führenden Weg mit weißen Schottersteinchen. „Deine!“, rief er dann immer wieder aus und vergrub dabei seine bald kalkweißen Händchen in den Kieseln. Kurz darauf begann er dann, das Puppengeschirr aus der Kinderküche mit ebendiesen zu füllen. Saß ich morgens auf der Sonnenliege, dauerte es nicht lange, bis mir Krumpfz ein paar weiße Steinchen auf Mini-Tellern oder in Mini-Tassen kredenzte. Aber auch der Terrasse, dem Rasen und dem Puppenhaus führte Krumpfz ausdauernd immer wieder neue Stein-Portionen zu. Die Folge: Abends, wenn der Kleine endlich schlief, kroch ich im Halbdunkel über Terrasse und Rasen, um die Steine aufzusammeln und in die Einfahrt zurückzubefördern. Was für eine Sisyphusarbeit!

Zu Hause in Deutschland machte die Stein-Leidenschaft unseres Sohnes dann glücklicherweise erst einmal eine Pause. Was vermutlich auch am kühlen Frühlingswetter und einer gleichzeitig bei ihm einsetzten Aversion gegen Sand und Dreck im Allgemeinen gelegen haben mag. Wir Eltern atmeten auf und hofften auf das Ende dieser Phase.

Doch dann wollten wir eines Samstagnachmittags kurz in den Baumarkt, um die jährliche Balkonbepflanzung einzukaufen… was damit endete, dass mein Mann schon mal mit dem Einkauf nach Hause fuhr, während ich mit Krumpfz noch eine gute halbe Stunde vor dem Baumarkt bei den Schalen mit den Test-Kieseln für die momentan so trendige Beetentgrünung saß und aufpasste, dass Krumpfz die weißen, schwarzen, roten und bunt gemischten Steinchen bloß nicht zu sehr durcheinanderbrachte.

Kurze Zeit später fuhren wir wieder in den Urlaub, dieses Mal auf die Nordseeinsel Texel. Dort fanden sich nicht nur unzählige Steine am Strand, sondern vor allem in der Umrandung unseres Ferienhauses. Und sofort war Krumpfz‘ petrologische Leidenschaft neu entflammt. Die grauen, spitzen Mini-Steine in der Rinne vor der Terrassentürschiene wurden zu Krumpfz‘ liebsten Ausgrabungsobjekten. Mit der Schaufel, aber auch mit den bloßen Händen, machte er sich eines Abends so emsig ans Werk, dass er am Ende blutige Fingerknöchel hatte und wir Eltern (die bei einem so still vor sich hinspielenden Kind hätten längst misstrauisch werden müssen!) eine Not-Desinfektion durchführen mussten. Noch eine Woche später waren die Spuren dieses Rausches an Krumpfz‘ Händen sichtbar.

Kaum wieder zu Hause, begann Krumpfz, auch auf unserem Balkon die spitzen Steinchen in der Entwässerungsrinne auszuheben. Dieses Mal waren wir jedoch sofort alarmiert. Der Abend endete in einem Ausgrabungsverbot und einem kräftigen Wutanfall ob dieser schieren Ungerechtigkeit.

Um die Wogen zu glätten und weitere Wutausbrüche rund um unsere steinige Entwässerungsrinne zu vermeiden, bestellte mein Mann wenige Tage später in einem Moment der Kapitulation das besagte Kilo Bachkiesel im Internet. Seither haben wir ein mit seinen Steinen glücklich vor sich hinspielendes Kleinkind – und jeden Abend die Aufgabe, die in der Wohnung verteilten Steine wieder einzusammeln. Schon längst in der Restbestand auf deutlich unter ein Kilo Gewicht zusammengeschrumpft. Den letzten Verlust hatten wir diese Woche zu beklagen, als Krumpfz sich die ehrgeizige Aufgabe stellte, mit Spielzeug-Traktor und -Anhänger voller Steine die Treppe der Kita hinunterlaufen wollte. Er war untröstlich, als er drei Steine an die Ritze zwischen Hauswand und Treppenstufen verlor. Zum Glück konnte ich die drei verschollenen Stein-Schätze durch ähnliche Exemplare aus der Entwässerungsrinne am Ende der Treppe ersetzen. Der Tag war gerettet.

Auch unter unserem Sofa liegen vermutlich etliche Bachkiesel, nachdem Krumpfz mehrere Tage ausdauernd das Spiel „Ich stecke alle Steine in die Sofaritzen!“ spielen musste. Wir haben es aufgegeben, sie alle wiederzufinden. Spätestens, wenn wir mal aus dieser Wohnung ausziehen, werden wir ihn bergen: Krumpfz‘ Steinschatz.

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Das braune Kissen

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Irgendwann in der Zeit vor Krumpfz waren mein Mann und ich auf der Suche nach einem neuen Bett. Dabei schauten wir im örtlichen Bettfachgeschäft (ja, das gibt es hier tatsächlich noch!) vorbei. Ein Bett fanden wir nicht – wohl aber zwei 40×40 cm kleine Daunenkissen, von denen wir glaubten, dass sie zusätzlich zu unseren großen Kissen nachts unsere von der PC-Arbeit geschundenen Nackenpartien stützen würden.

Die Kissen (meins mit beigem, das meines Mannes mit braunem Bezug)  fristeten daraufhin erst einmal ein etwas unspektakuläres Dasein in unserem Bett – bis Krumpfz sie vor etwa einem Jahr für sich entdeckte…

Es begann damit, dass Krumpfz erkannte, dass man sich – wenn man kein Baby mehr sein wollte – auf ein Kissen zu betten hatte. Also warf er sich abends beim Einschlafritual zuverlässig mit einer Art Köpper-Bewegung auf eines oder gleich beide der Kissen. Kurze Zeit später ging Einschlafen dann nur noch mit einem der beiden Kissen im Arm, wobei das Kissen mit beigem Bezug für Krumpfz eindeutige Vorzüge gegenüber dem mit brauner Hülle aufzuweisen schien.

Zur etwa gleichen Zeit ging es in der Krippen-Eingewöhnung von Krumpfz um die Heranführung an einen gemeinschaftlichen Mittagsschlaf. Wir Eltern hatten deswegen große Sorgen (schlief Krumpfz doch zu Hause nur an meiner Brust ein), weswegen wir jeden erdenklichen Unterstützungsgegenstand mit in die Krippe schleppten. Eine Stoffversion des kleinen blauen Elefanten fand bei Krumpfz keinen Anklang (der Elefant fristet bis heute ein trauriges Dasein in Krumpfz‘ dunklem Schrankfach in der Kita), so dass ich mich schließlich etwas widerwillig von meinem beigen Kissen verabschiedete und es Krumpfz mit in die Kita gab. Tatsächlich erwies sich dies als dem Einschlafen zuträglich, so dass das Kissen blieb. Irgendwann tauschte ich allerdings den meiner Meinung nach für ein Kleinkind völlig ungeeigneten (weil öden und dann auch bald total dreckigen) beigen Kissenbezug gegen einen freundlich hellblau-weiß gepunkteten, mit einem Elefantengesicht bestickten Bezug aus, den wir zur Geburt unseres Sohnes bekommen hatten. Krumpfz‘ Erzieherin musste darunter allerdings kurzfristig leiden: „Er wollte gar nicht einschlafen, sondern musste mir erst noch ein paar Mal den Elefanten zeigen“, klagte sie am ersten Tag des Bezugwechsels.

Zu Hause erlebte zur gleichen Zeit das braune Kissen einen rasanten Aufstieg in Krumpfz‘ Gunst: Es war jetzt nicht nur essentiell für den Einschlafprozess, sondern wurde zunehmend auch von ihm durch die Wohnung getragen. Oft musste Krumpfz‘ Puppe Conni auch unsanft den kleinen Buggy verlassen, damit Krumpfz darin das braune Kissen transportieren konnte. Irgendwann konnten wir dann das Haus nicht mehr ohne braunes Kissen verlassen – es musste überall mit hin: ins Auto, in den Buggy, in den Thule, in die Krippe. Auch bei Spaziergängen schleifte Krumpfz das Kissen nun gerne hinter sich her über Asphalt, Schotterwege und durchs Grün. Wir Eltern fanden das aus hygienischen Gründen zunächst nicht so toll. Aber alle Überredungsversuche wie „Willst du nicht lieber Conni mitnehmen?“ oder „Das Kissen wird doch ganz dreckig!“ halfen nichts: Das Kissen musste mit!

Dabei hatten wir Eltern uns so viele Gedanken über Krumpfz‘ ersten Kuschelkumpanen gemacht! Schon vor seiner Geburt hatten wir in Kinderfachgeschäften und im Internet nach geeigneten Stofftieren für Krumpfz gesucht. Am Ende entschieden wir uns für ein rosafarbenes, treu dreinschauendes Schwein aus robustem Frottee, das mich an „Teddy“ von Lotta aus der Krachmacherstraße erinnerte. Krumpfz‘ Patentante Anne* steuerte zur Geburt ein Steiff-Eichhörnchen bei, mein Vater ein Schnuffeltuch in Hundeoptik. Sie alle liegen inzwischen in Krumpfz‘ Bett – gekuschelt wird aber nur das braune Kissen.

Wobei das nicht ganz richtig ist. Denn nachdem wir das beige Kissen an die Kita und das braune an Krumpfz verloren hatten, kaufte ich mir ein blaues Kissen nach. Ich dachte, dass ich dieses sicher gegen Krumpfz behaupten könnte. Anfangs schien ich damit recht zu behalten. Doch schon bald musste auch das blaue Kissen abends beim Einschlafen dabei sein – und inzwischen muss es morgens auch mit in den Buggy, wenn es in Richtung Kita geht. Allerdings darf man – wie mein Mann Anfang dieser Woche – sich davon nicht zu der Annahme hinreißen lassen, dass das blaue Kissen dem brauen in Krumpfz‘ Augen ebenbürtig sei. Denn an dem Tag, als mein Mann meinen Sohn mit blauem statt mit braunem Kissen in die Kita schickte (und das braune mit nach Hause brachte!),  fragte Krumpfz seine Erzieherin ständig nach dem braunen Kissen und auch ich wurde gleich beim Abholen mit der halb vorwurfsvollen Frage nach dem „braune Dissen?“ empfangen. Seither achte wir alle penibel darauf, dass das braune Kissen mit in die Krippe wandert.

Wir Eltern haben es mit den kleinen Kissen nun aufgegeben – denn eigentlich schläft es sich ohne genauso gut und die Nackenschmerzen verschwinden dann doch eher durch Sport. Und wenn wir doch noch etwas Weiches brauchen, auf dem wir unsere müden Häupter betten können – Schweinchen und Eichhörnchen sind ja noch frei. Oder ich hole einfach das Kissen mit Elefantenbezug aus der Krippe nach Hause – das würdigt Krumpfz nämlich längst auch keines Blickes mehr.

* Die eigentlich anders heißt.

 

Weltuntergang

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Jeder gute Blog hat Gastschreiber. So jetzt auch dieser. Hier schreibt diese Woche Krumpfz‘ Papa.

Krumpfz hat einen kleinen Buggy in Puppengröße. Ein ziemlich einfaches Ding, das wir im lokalen Babyzubehörtempel mitgenommen hatten, als wir Krumpfz’ Kinderwagen zu einem Wagen für Kleinkinder umrüsten ließen und die lange Wartezeit irgendwie überbrücken mussten. In seinem wachsenden Repertoire an Spielzeug nimmt dieser Buggy eigentlich eine Nebenrolle ein. Von Zeit zu Zeit schiebt Krumpfz seine Puppe Conni durchaus mit großer Begeisterung durch die Wohnung. Oder eines seiner geliebten Kissen. Oder Steine. Aber im Großen und Ganzen verliert der kleine Buggy doch gegen die Allstars der Spielzeugsammlung wie die innig geliebten Duplo-Steine oder die teils von Mama geerbten Matchbox-Autos.

Vor wenigen Tagen stand eben dieser kleine Buggy jedenfalls morgens im Hausflur neben seinem großen Bruder, in dem Krumpfz für gewöhnlich zur Kita chauffiert wird. Er war dort nach einem regen- und matschreichen Ausflug am Tag zuvor stehen geblieben, weil die Reifen noch zu schmutzig für die Wohnung waren. Als ich mit Krumpfz den morgendlichen Gang zur Kita antreten wollte, fiel seine Aufmerksamkeit unweigerlich auf den kleinen Buggy (der Hausflur ist ziemlich schmal) und alle Versuche, ihm das Gefährt wieder auszureden, schlugen fehl. Also entschied ich mich, den rund einen Kilometer langen Weg zur Krippe zu einem gemütlichen Spaziergang umzufunktionieren und den Buggy mitzunehmen. Schließlich war ich früh dran und hatte noch ausreichend Zeit, um meinen Zug trotzdem noch ohne große Hetzerei zu bekommen. Zumindest dachte ich das in diesem Moment noch in meiner Naivität. Es sollte sich wenig später als Irrtum herausstellen.

Wir machten uns also auf den Weg und zunächst verlief alles wie gedacht: Krumpfz hatte sichtlichen Spaß beim ziellosen Hin- und Herschieben des Buggys, ließ sich aber durch geschicktes Zustellen der Fluchtwege und gezielt gestreute Richtungshinweise grob in die richtige Himmelsrichtung lenken. Die drohende Apokalypse kam dann in Form einer ziemlich gewöhnlichen, aber doch einigermaßen viel befahrenen Straße, zu der Krumpfz uns mit großer Bestimmung lenkte. Wie so oft war ihm dieser Weg lieber gewesen, als der deutlich ruhigere, der unten am Fluss entlangführte. Damit war aber zu rechnen gewesen. Ich vermute, dass meine Vorliebe für Entengeschnatter, Vogelgezwitscher und plätscherndes Wasser am Fluss gegenüber einer großen Ansammlung von Omnibussen, Taxen und Autos am örtlichen Busbahnhof ein Zeichen meines fortgeschrittenen Alters ist. 

Da die besagte Straße samt Zebrastreifen nun nur noch 50 Meter entfernt waren, versuchte ich Krumpfz klarzumachen, dass sich sein etwas zielloses Geschiebe mit gelegentlichen Pausen und vielen spontanen Richtungswechseln nicht so gut mit dem Straßenverkehr verträgt, und dass es mir lieber wäre, wenn er sich doch für diesen Abschnitt von mir tragen ließe – oder noch besser – in den großen Buggy setzen würde. Diesen Vorschlag fand Krumpfz natürlich gar nicht okay. Überhaupt nicht okay. Wie konnte ich überhaupt auf die Idee kommen, das traute Paar aus kleinem Buggy und Kleinkind, wenn auch nur für kurze Zeit, voneinander zu trennen? Je näher wir der Straße kamen, desto wütender wurde Krumpfz bei dem Gedanken, dass er seinen, schon immer über alles geliebten, durch nichts auf der Welt zu ersetzenden Buggy hergeben sollte! Meine kläglichen Versuche, ihn trotzdem auf den Arm zu nehmen, erstickten dann in einem Gewitter aus Gebrüll und Tränen. Auch der große Buggy stieß auf wenig Gegenliebe und wann immer ich Krumpfz hineinsetzen wollte, veränderte das Kind kurzerhand seinen Aggregatzustand und floß schlangengleich wieder aus dem Wagen auf den kalten Asphalt.

Krumpfz steigerte sich immer mehr in die alles verzehrende Wut über die Aussicht auf eine Unterbrechung seiner bis dahin doch so wunderschönen Tour mit seinem allerliebsten Spielzeug. Man kann sich die akustischen Ausmaße in etwa vorstellen, wenn man sich Fernsehbilder von wehklagenden Frauen in Erinnerung ruft, die den Verlust ihres Kindes beklagen, nachdem sie dessen verkohltes Lieblingsstofftier aus den Trümmern eines zerbombten Hauses ziehen mussten. Nur in einer geringfügig anderen Tonlage. Und wütender. 

Als Krumpfz da so mit Tränen auf den Wangen und rotem Kopf flach auf dem Boden lag, malte ich mir vor meinem geistigen Auge aus, wie die Anwohner der umliegenden Häuser wohl gerade auf das martialische Geschrei auf der Straße reagierten. In meinen Gedanken öffneten sich die ersten Fenster und erschrockene, verständnislose, teils verwirrte Blicke bohrten sich in meinen Rücken. In einer anderen Wohnung wurde hastig die Nummer des Jugendamts herausgesucht und in ein Mobiltelefon eingetippt. Das Geräusch von langsam näherkommendem Rotorenlärm lag in der Luft, Suchscheinwerfer wurden auf uns gerichtet, ein Mitarbeiter der NSA riss schlagartig seinen Kopfhörer herunter, da ihm das übersteuerte Signal, das über seine Außenmikrofone kam, in den Ohren schmerzte.

Zurück in der Realität hob ich meinen Blick und konnte um uns herum nur einige gelangweilte Teenager sehen, die viel zu sehr damit beschäftigt waren, vor ihren Mitschülern cool auszusehen oder in Gedanken noch um die Nachricht kreisten, die Vanessa aus der 9c gestern kurz vor Mitternacht geschickt hatte, als sich groß um ein krakelendes Kind zu kümmern. Eine Frau passierte uns mit mitleidigem Blick und sagte nur: „Da muss man manchmal ganz schön leiden.“ Ich nickte. 

Da sich Krumpfz nicht beruhigen ließ, mein Zug schon längst abgefahren war und ich nun langsam Gefahr lief, den nächsten auch noch zu verpassen, zwängte ich das kleine Nervenbündel unter Einsatz all meiner Gliedmaßen in den großen Buggy, hängte den Puppenwagen an dessen Griff und überquerte so schnell ich konnte die Straße, die der Auslöser dieser ganzen Episode war. Wirklich gut fühlte sich das nicht an, aber etwas Besseres fiel mir in diesem Moment auch nicht mehr ein. Krumpfz fügte sich nun seinem Schicksal und ließ sich unter gelegentlichem Schluchzen und einem ab und zu leise gejammerten „kleine Baddi“ zur Kita schieben.

Ich erzählte der dort schon wartenden Erzieherin von unserer eben durchlebten Götterdämmerung und fragte, ob es in der Kita manchmal auch so schlimm sei. „Oooh ja, gestern schon“, sagte sie. „Naja, vielleicht wird das ja bald wieder besser“, antwortete ich etwas hilflos. Der darauffolgende Blick und das Kopfschütteln trugen nicht gerade dazu bei, dass ich hoffnungsvoller auf die folgenden Tage mit dem kleinen Wüterich blickte.

Drei Tage später war ich wieder mit Krumpfz und dem kleinen Buggy auf dem Weg zur Kita. Dieses Mal hing der Buggy von Anfang an am Griff seines größeren Pendants, in dem Krumpfz friedlich saß und seine Umgebung betrachtete. Er hatte gleich akzeptiert, dass heute Morgen nicht genug Zeit zum Selberschieben war. Zuvor hatten wir gemeinsam ein Porridge gegessen, das Krumpfz gut geschmeckt hatte, und auch das Anziehen hatte er ohne Proteste über sich ergehen lassen. Als ich an der Stelle vorbeikam, an der wir vor nicht allzu langer Zeit noch die Nachbarschaft terrorisiert hatten, atmete ich innerlich einmal durch und war sehr dankbar, dass der heutige Morgen von Beginn an so harmonisch abgelaufen war. Genug Zeit zur Erholung vor dem nächsten Weltuntergang – wo auch immer dieser auf uns wartet…

2019-05-07 17.33.10-1

Bad-daaaaa!

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Früher (also in der Zeit vor Krumpfz) dachte ich immer, dass die Interessen von Jungs (und Mädchen) nicht veranlagt, sondern antrainiert sind. Sprich: Ist der Vater ein Fan schneller Autos, wird es auch der Sohn. Ich bin dementsprechend darauf eingestellt, dass Krumpfz irgendwann eine Vorliebe für Formel-1-Rennen entwickeln wird. Schließlich habe ich in den letzten 16 Jahren oft genug ganze Sonntagnachmittage vor dem TV verbracht, um mit meinem Mann Michael Schumacher (den ich nie mochte) und Sebastian Vettel (naja, schon eher) beim sinnlosen Rundendrehen auf Asphalt-Schleifen zuzusehen.

Nicht vorbereitet war ich hingegen auf die Leidenschaft meine Sohnes, die ihren Anfang im letzten Oktober nahm und im letzten Monat ihren bisherigen Höhepunkt erreichte: die Leidenschaft für Bagger. Denn niemand – wirklich niemand! – in unserer Familie hat sich bisher als passionierter Baumaschinen-Fan zu erkennen gegeben. Und ich, die im platten Niedersachsen zwischen Heide, Weiden und Feldern aufgewachsen bin, hatte bis vor kurzem noch nicht einmal eine Ahnung, welche schweren Fahrzeuge überhaupt auf Baustellen zu finden sind (bei landwirtschaftlichen Maschinen verfüge ich immerhin über solide Grundkenntnisse!).

Umso erstaunter war ich, als Krumpfz Anfang Februar mit großer Begeisterung auf die Baustelle direkt bei uns um die Ecke reagierte. Vorbei waren die Zeiten, in denen wir relativ zügig an Baggern, Radladern, Kipplastern und Rüttelplatten vorbeigehen konnten. „Dahin!“, kommandierte er mich aus seinem Buggy heraus in die Ecke der Baustelle, die ihn am meisten interessierte. Meist stand dort der große Radbagger, der ab und zu Asphalt aufriss und Erde von A nach B schaufelte. Große Begeisterung löste auch der Radlader auf, der täglich durch die Baustelle fuhr und – in meinen Augen völlig willkürlich – Steine und Sand bewegte. „Daaaaa!“, rief Krumpfz dann aufgeregt und zeigte mit seinem Zeigefinger in Richtung des vorbeidröhnenden Gefährts.

Uns Eltern verwunderte es daher wenig, dass in der Liste der Wörter, die Krumpfz in dieser Zeit lernte, das Wort „Badda“ ganz weit oben stand – wobei „Badda“ nicht nur „Bagger“, sondern auch „Radlader“ und „Traktor“ bedeuten kann. Kam ich nachmittags in die Kita, so begrüßte mich mein Sohn mit einem langgezogenen „Bad-daaaa!“, um mir gleich klarzumachen, wohin uns unser erster Weg nach der Kita führen sollte. Und so wurde es zu unserer täglichen Routine, auf dem Weg nach Hause bei der Baustelle vorbeizuschauen. Wir verfolgten gemeinsam, wie der kleine rote Raupenbagger mit einem Stemmmeißel den Asphalt aufbrach, wie die Bauarbeiter fachsimpelnd herumstanden, dann etwas abmaßen und Rohre verlegten, wie der Radlader durch die Baustelle fuhr und Kies ablud, wie der Gehweg gepflastert und die Straße wieder asphaltiert wurde. Einen Monat lang verging fast kein Tag ohne einen Ausflug zum „Badda“ (wobei die Baustellenbesuche am Wochenende immer etwas langweilig waren, weil sich dort nichts bewegte).

Nach und nach kannte ich auch die Gesichter aller Bauarbeiter, wusste, wer den Radlader fahren konnte und wer den Bagger bediente. Der Baggerfahrer begrüßte uns irgendwann immer, wenn wir kamen. „Wir sind’s wieder“, gab ich dann zurück, worauf er lachen musste. Darüber hinaus wurde die Baustelle zum Treffpunkt mit Müttern anderer Jungs in Krumpfz‘ Alter. So begegnete ich einmal einem Mutter-Sohn-Duo aus meinem Rückbildungskurs, ein anderes Mal ging ich zusammen mit Lilo* und ihrem Sohn Tom Baggergucken. Und wiederum an einem anderen Tag kam die Besitzerin des Stehcafés, das ich seit meiner Elternzeit regelmäßig frequentiere, an der Baustelle vorbei, klopfte mir, die ich mit Krumpfz auf dem Arm am Bagger stand, auf die Schulter, und sagte: „Ach, das ist DIE Phase.“ „Geht die denn auch vorbei?“, fragte ich mehr im Scherz als ernstgemeint. „Ja“, lachte sie und deutete auf ihren Sohn im Grundschulalter. „Aber es dauert!“

Doch Krumpfz‘ Bagger-Leidenschaft beschränkte sich nicht nur auf die Baustelle. In der örtlichen Buchhandlung zog er zuverlässig ein Fahrzeug-Buch nach dem anderen aus dem Regal, um es sich anzusehen. Also kaufte ich Kindersachbücher über Baustellen und Bagger, Kräne und Planierraupen, um Krumpfz‘ Passion für schwere Maschinen zu begegnen und mir gleichzeitig das nötige Fachvokabular anzueignen. Schließlich wollte ich die Maschinen auf der Baustelle, auf die Krumpfz mit großer Neugier zeigte, auch benennen können!

Daneben gewann ein kleiner, abgewetzter Spielzeugbagger aus Metall zeitweise eine große Bedeutung für Krumpfz. Er hatte ihn im hiesigen Second Hand-Laden entdeckt, als ich dort einige zu klein gewordene Klamotten abgegeben hatte. Eigentlich war ich dagegen, dass er das – in meinen Augen – Schrottding mit nach Hause nahm, aber er weigerte sich standhaft, es dort zu lassen. Als das die Verkäuferin sah, schenkte sie Krumpfz den Miniatur-Bagger spontan. Ab da waren Krumpfz und sein neustes Spielzeug für ein paar Tage unzertrennlich – am gleichen Abend schlief er sogar mit ihm in der Hand ein.

Heute nun waren wir wieder auf der Baustelle (wie das klingt!). Wir waren spät dran, denn es hatte auf dem Weg von der Kita dorthin in Strömen gegossen und wir hatten uns in der Buchhandlung (wo wir ein weiteres Fahrzeuge-Buch kauften) unterstellen müssen. Aus meiner einmonatigen Erfahrung wusste ich, dass wir damit die Bauarbeiter nicht mehr antreffen würden – sie machten freitags immer um drei Uhr Feierabend. Doch statt einer verwaisten Baustelle wie in den Wochen davor fanden wir nur noch den kleinen, roten Raupenbagger vor, der einsam am Straßenrand geparkt war. Die Straße war wieder komplett, der Gehweg fertig gepflastert. Kurzum: Die Baustelle war so gut wie Geschichte.

„Da!“, rief Krumpfz und manövrierte mich in Richtung des letzten Baggers. Mir wurde ganz wehmütig ums Herz, als wir uns die Maschine noch einmal genau anschauten. Denn ich wusste – im Gegensatz zu Krumpfz – dass auch diese bald weg sein würde. Ich versuchte, Krumpfz zu erklären, dass die Bauarbeiten fertig seien und dass der Bagger nun nicht mehr gebraucht würde. Krumpfz nahm es mit Fassung, winkte dem Bagger noch kurz zu und gab mir dann zu verstehen, dass wir nun auch nach Hause gehen könnten.

Jetzt hoffe ich, dass bald irgendwo anders in unserer Stadt eine neue Baustelle entsteht, damit wir unsere (tatsächlich auch von mir liebgewonnenen) Bagger-Besichtigungen fortsetzen können. Über sachdienliche Hinweise würde ich mich freuen! 🙂

*Die im wahren Leben einen schöneren Namen hat.

Nicht verstehen

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Als mich meine amerikanische Gastschwester Marie* 2002 erstmals in meiner norddeutschen Heimat besuchte, runzelte sie oft die Stirn, wenn ich ihr versuchte, die deutsche Sprache näherzubringen. Was für mich total logisch erschien, war für sie ein verwirrendes System aus merkwürdig klingenden Lauten, scheinbar endlosen Substantivverbindungen und verwirrenden Satzstrukturen. Gut, ich machte es ihr auch wirklich nicht leicht: Mit Fragen zum grammatischen Geschlecht von Substantiven stellte ich sie vor schier unlösbare Aufgaben. Und mit Unsinnswörtern wie dem Klassiker des „Donaudampfschifffahrtskapitäns“ brachte ich sie zwar regelmäßig zum Lachen – aber wahrscheinlich auch an den Rand einer Sinnkrise, ob sie diese Sprache je wirklich lernen würde können (Spoiler: Sie konnte!). 

Jahre später, während meines Germanistik-Studiums, war ich dann selbst diejenige, die an der deutschen Sprache verzweifelte. Hatte ich im Grundstudium der Linguistik noch gut folgen können, wenn es um Verbzweit- und Verbletztpositionen im deutschen Satzbau ging, verlor ich im Hauptstudium komplett den Durchblick, wenn es an die Analyse von komplexen Sätzen ging. Zum Glück konnte ich mich im Examen um das Thema herumdrücken, so dass mein Wissen über die deutsche Syntax zwar locker für die Schule reicht, aber eben nicht weit darüber hinausgeht.

Dass Deutsch eine schwierige Sprache ist, merke ich jetzt wieder, wenn ich Krumpfz dabei beobachte, wie er die Sprache lernt. Er ist regelrecht hungrig nach Wörtern und saugt sie auf wie ein Schwamm. In Wimmelbüchern zeigt er auf jeden und alles und fordert uns Eltern dadurch auf, ihm die entsprechenden Begriffe zu nennen. Danach kennt er die Wörter und kann – wenn man ihn fragt – das damit Bezeichnete zeigen. Ich bin jedes Mal schwer beeindruckt, wie viele Wörter er schon in seinen Wortschatz aufgenommen hat: Zitronenpresse, Football, Nudelholz, Bobtail, Ballenpresse, Girlande, Schleife, Stofflöwe, Ritterburg, Radlader, Kürbis…

Was Krumpfz allerdings nicht versteht, ist ausgerecht das Wort „nicht“. „Wird einem Kind […] gesagt, es solle nicht an den Herd gehen, ist [das] kindliche Gehirn außerstande, das Wort ‚nicht’ zu verarbeiten. Es wird einfach weggefiltert. Übrig bleibt: ‚Geh Herd!‘, und das wird das Kind dann auch tun“, schreiben die Autorinnen meines Lieblingsratgebers „Das gewünschteste Wunschkind aller Zeiten treibt mich in den Wahnsinn“. 

Das Problem ist: Wir Eltern verwenden ständig solche nicht-Sätze:

„Krumpfz, die Murmel wird nicht geworfen!“

„Geh’ nicht zur Treppe, das ist gefährlich!“

„Nicht die Lampe anfassen, die ist heiß!“

Solche Dinge kommen mir täglich – ach, was sag’ ich! stündlich! – über die Lippen. Denn meist sind die Situationen, in denen ich sie äußere, brenzlig und ich will nicht, dass etwas kaputt geht oder Krumpfz sich wehtut. Ich finde es bemerkenswert, dass mir dann im Affekt immer zuerst solche negierten Aussagen einfallen – sagt das nicht eine Menge über die deutsche Sprache (und uns Deutsche) aus? (Ha, schon wieder!)

Ich arbeite also seit Wochen daran, mir eine positive Sprachhaltung anzutrainieren:

„Krumpfz, bitte roll’ die Murmel.“

„Komm‘ von der Treppe weg, das ist gefährlich!“

„Halte Abstand zur Lampe, die ist heiß.“ 

Und nein, ich hätte im Vorhinein nie gedacht, dass ich mir als Mutter einmal über so etwas Gedanken machen würde! 

Leider werden meine Bemühungen um eine positive Sprache inzwischen von Krumpfz sabotiert. Seit er in der Kita ist, hat er nämlich ein – für den Alltag wahrscheinlich ziemlich praktisches – Wort gelernt:  „NEIN!“ Und dessen Wirkung testet er gerade sehr ausdauernd. 

„Krumpfz, darf ich dir deine Hose anziehen?“ – „NEIN!“

„Komm Krumpfz, wir gehen Wickeln…“ – „NEIN!“

„Möchtest du noch etwas Brot essen?“ – „NEIN!“

In den ersten Wochen seiner Nein-Phase ging das sogar so weit, dass Krumpfz „Nein“ gesagt hat, wenn er eigentlich „Ja“ sagen wollte.  

Zum Glück gibt es noch einen Ausweg aus diesem Dilemma: Mein mütterliches „DOCH!“, wenn er wirklich eine Jacke anziehen muss (weil es kalt ist) oder er eine neue Windel braucht (weil er eine olfaktorische Zumutung ist). Leider wird er auch dieses Wort bald kennen und können. Was ich dann mache, weiß ich noch nicht. Ich weiß nur, dass mir da auch keine weitere Linguistik-Vorlesung hätte helfen können.

PS: Wer alle „nicht“ in diesem Text richtig zählt, dem gebe ich bei nächster Gelegenheit einen Kaffee aus!

*Die eigentlich ganz anders heißt.

Sterne sehen

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Gestern, als ich Krumpfz aus der Kita abholte, war etwas anders als sonst. Mir fiel es nicht sofort auf, denn ich hatte – wie jeden Mittag – nur Augen für meinen Sohn. Ich sah ihn noch einen Moment mit seinem Becher spielen, bevor er mich erblickte, seinen Becher stante pede fallen ließ und mit einem breiten Grinsen auf mich zu krabbelte. „Ho!“, rief er, kaum dass er an meinen Füßen angekommen war – was in diesem Zusammenhang so viel wie „Nimm mich auf den Arm!“ bedeutet. „Hallo Großer! Schön, dich zu sehen“, sagte ich, während ich Krumpfz auf meine linke Hüfte lupfte. „Nana!“, rief Krumpfz. „Nane?“, fragte ich leicht irritiert. Denn „Nane“ ist Krumpfz‘ Verkürzung für „Banane“ und eine Banane hatte ich nirgendwo in der Kita gesehen. „Hast du heute eine Banane gegessen?“ „Nana!“, rief Krumpfz und zeigte in Richtung des Regals, das als Raumteiler im Raum der grünen Gruppe steht. „Nana!“

Und da sah ich, was er meinte: Über dem Regal hingen zwei große Holzsterne. Offensichtlich hatten die Erzieherinnen den Gruppenraum weihnachtlich dekoriert. „Da sind ja Sterne!“, sagte ich zu Krumpfz. „Nana!“, rief er erneut und glücklich darüber, dass ich ihn verstanden hatte.

Schon seit die ersten Geschäfte in unserer Stadt die Weihnachtsdeko aus dem Keller in ihre Schaufenster geholt haben, sind Sterne bei Krumpfz – neben Hunden – ganz oben auf der Liste der zu bejubelnden Objekte. Auf dem Weg von der Kita nach Hause zeigt er mir täglich jeden Stern, den er sieht – und das sind ganz schön viele! Da sind die große weißen Sterne, die von den Mitarbeitern der Stadt als Weihnachtsschmuck zwischen den Häuserzeilen angebracht wurden. Da ist der gut zwei Meter große, leuchtende Stern auf der Insel im Kreisverkehr am Stadteingang. Da sind die zwei großen, gelben Sterne am Eingang des evangelischen Gemeindehauses. Im Schaufenster eines Optikers sind Sterne zwischen den Brillen drapiert, Sterne gibt es als Aufkleber am Klamottenladen nebenan und als Fensterdeko in der Nachbarschaft. Große Weihnachtssterne kann man im Krimskramsladen auf dem Marktplatz kaufen und Lametta mit Sternen im Supermarkt. „Nana!“ – Krumpfz ist wie im Rausch.

 

So bewusst wie bei unseren Wegen durch die Stadt habe ich den Einzug von Weihnachten in den Alltag schon lange nicht mehr wahrgenommen. In den letzten Jahren bin ich an der städtischen Weihnachtsdeko meist einfach vorbeigehastet – den Kopf bei schlechtem Wetter zwischen die Schultern gezogen und den Blick auf den Boden gerichtet. Mit Krumpfz aber kann ich nicht hasten. Denn entweder trage ich ihn auf der Hüfte oder er läuft selbst – was beides deutlich entschleunigt.

Und zum ersten Mal seit Jahren ist da wieder etwas vom Warten auf Weihnachten zu spüren. Denn wir Eltern warten mit Krumpfz. Morgen bekommt er zum ersten Mal einen eigenen Adventskalender voller Duplo-Steine und -Tiere. Klar, wir Eltern hatten uns bis letztes Jahr auch immer einen Adventskalender geschenkt. Er war eine Relikt aus unserer Kindheit, an dem wir noch mit über 30 festhielten. Und obwohl sich der Inhalt der 24 Säckchen oft wiederholte, blieb er eine liebgewonnene Routine – und unsere tägliche (und im Berufsalltag oft einzige) Erinnerung daran, dass Weihnachten näher rückt. 

Jetzt ist es Krumpfz, der uns die Augen für die Vorweihnachtszeit öffnet und mit jeder geöffneten Adventskalender-Tüte auf das schönste Fest im Jahr zusteuert. Wir können es kaum erwarten, mit ihm zu singen, Plätzchen zu backen, die Kerzen am Adventskalender anzuzünden – also einfach die Advents- und Weihnachtszeit zu feiern. Wir sind voller Vorfreude und vielleicht sogar ein bisschen aufgeregt. Wie damals, als wir selbst noch Kinder waren. 

Ho‘ hinaus!

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Wenn andere Eltern ihre Kinder aus der Kita abholen, dann geht das so: Sie betreten die Kita, gehen in den Gruppenraum, nehmen dort ihr Kind in Empfang, ziehen es an der Garderobe an, gehen mit ihm raus und fahren zusammen mit ihm nach Hause. Hole ich dagegen Krumpfz aus der Kita ab, dann sieht das etwas anders aus…

Wenn ich kurz nach zwei erst die Kita und dann den Raum der grünen Gruppe betrete, dann sitzt Krumpfz meist irgendwo auf dem Boden und ist nach dem Mittagsschlaf schon mehr oder minder wieder angezogen. Sobald er mich sieht, streckt er seine kleinen Arme nach mir aus und will von mir getragen werden. Kaum dass ich ihn hochgenommen habe, deutet er mir mit einem unmissverständlichen Zeigefingerzeig in Richtung der Tür des Gruppenraums, dass er gehen will. Ich komme meist gerade noch dazu, zwei bis drei Sätze mit der Erzieherin zu wechseln, ehe er seinen Wunsch mit einem lauten und lang anhaltenden „Aaaaaah!“ unterstreicht.

Wir gehen also zur Garderobe, wo sich Krumpfz bereitwillig auf das Bänkchen davor setzen lässt, so dass ich seine Stoppersocken gegen normale Socken und seine Winterschuhe tauschen kann. Sobald ich aber versuche, ihm seine Fleecejacke oder gar (in weiser Voraussicht) seine robuste Buddelhose anzuziehen, lässt er sich von der Bank auf alle Viere fallen und flüchtet vor mir an den anderen Eltern und Kindern vorbei zur Eingangstür. „Die Phase hatten wir auch“, sagte ein Vater neulich im Vorbeigehen zu mir. „Das war anstrengend.“ „Geht das denn vorbei?“, fragte ich ihn, während ich Krumpfz mit seiner Jacke, Buddelhose und Mütze in den Händen hinterherlief. „Ja, irgendwann!“, gab er zurück, bevor er mit seiner bereits vollständig bekleideten Tochter entspannt durch die Eingangstür ins Freie verschwand.

Vor besagter gläserner Eingangstür steckt Krumpfz dann zu meinem Glück jeden Nachmittag in der Sackgasse: Von hinten komme ich und die Tür ist verschlossen. Mal unter mehr, mal unter weniger Protest lässt er mich dann gewähren, so dass ich ihn in sein Outdoor-Outfit stecken kann. Schwierig wird es, wenn wir von anderen Eltern und ihren Kindern überholt werden. Denn dann geht die Eingangstür auf und Krumpfz’ erkennt im gleichen Augenblick, dass die Freiheit zum Greifen nah ist. Jetzt muss ich mit dem Anziehen extra schnell sein, denn Krumpfz’ Geduldslevel tendiert urplötzlich gegen Null.

Wenn Krumpfz schließlich fertig angezogen ist und ich ihm mitteile, dass wir nun endlich nach Hause gehen könnten, verliert Krumpfz’ Bedürfnis, die Kita zu verlassen, mit einem Mal all seine Dringlichkeit. Im Zeitlupentempo zieht er sich an mir hoch und läuft an meiner Hand langsam zur Eingangstür. Auf der Schwelle nach draußen bleibt er stehen und zögert, so dass er den gesamten Kita-Verkehr aufhält. Nicht selten hält uns dabei jemand die Tür auf – und tut mir sofort leid, weil er mit uns in Krumpfz’ Zeitlupenabgang gefangen ist.

Nun könnte man meinen, dass ich Krumpfz jetzt ja nur noch die Treppe heruntertragen und in unseren Fahrradanhänger* setzen müsste. Tja nun… die Illusion hatte ich am Anfang auch. Aber sobald Krumpfz die Treppe sieht, ruft er laut „Ho!“, was soviel wie „Ich will die Treppe laufen!“ bedeutet. Also nehme ich ihn an beiden Händen und helfe ihm dabei, mit seinen Gummibeinchen die Treppe hinabzusteigen.

Am Ende der Treppe steht unser Fahrradanhänger, den ich schon bei meiner Ankunft an der Kita aus dem Fahrradkeller geholt hatte. Aber Krumpfz hat nur Augen für die Treppe. „Ho!“ ruft er und dreht sich um die eigene Achse, um die Stufen nun auf allen Vieren zu erklimmen. Auf seinem Weg nach oben lässt er sich auch von weiteren, die Kita verlassenden Kindern und Eltern nicht beirren, die netterweise einen Bogen um ihn machen.

Wieder oben vor der Eingangstür angekommen, entdeckt Krumpfz dann meist, dass die Treppe vor der Kita eine Doppeltreppe ist und auf der anderen Seite wieder nach unten geht. „Ho!“ ruft er und macht sich auf den Weg, auf der anderen Seite wieder abzusteigen.

Nun sind wir maximal weit vom Fahrradanhänger und dem Weg nach Hause entfernt. Wir stehen am Fuß der Doppeltreppe und damit vor der Tür zum dunklen und geheimnisvollen Fahrradkeller der Kita. Klar, dass Krumpfz sich den auch noch anschauen muss. Er nimmt die drei Stufen nach unten, läuft bis zum ersten Raum, in dem die Mülltonnen stehen, guckt sich um, überlegt und wendet. Krabbelnd steuert er erneut die Stufen an. Kurz keimt in mir die Hoffnung auf, dass wir jetzt die richtige Richtung einschlagen. Doch schon als Krumpfz die erste Stufe nimmt, wird mir klar, dass ich noch etwas Geduld brauchen werde. Denn Krumpfz hat einen im Licht der Wintersonne funkelnden Kronkorken gefunden, den er nun erst einmal eingehend betrachten muss. Mit dem Kronkorken in der Hand setzt er seinen Weg fort – die zwei Stufen aus dem Keller wieder hinauf.

Oben entdeckt er dann einen Stein an der Hausmauer, der sich natürlich ganz anders anfühlt als der Kronkorken, den er noch in der Hand hat. Aber er kann nur eins von beidem tragen – was soll er mitnehmen? Krumpfz überlegt. Schließlich streckt er mir den Kronkorken entgegen. Ich nehme ihn in meine eine und Krumpfz’ nun leere Hand in meine andere und versuche, Krumpfz um die Doppeltreppe herum zum Fahrradanhänger zu lotsen – was natürlich schiefgeht: „Ho!“ ruft Krumpfz. Also laufen wir noch einmal alle Treppenstufen hoch und wieder runter. Auf dem Weg nach unten überholen uns derweil die Erzieherinnen. „Oh, da will wohl jemand nicht nach Hause“, sagt die eine, bevor mir beide lachend „noch einen schönen Tag“ wünschen.

Zum Glück entdeckt Krumpfz im etwa selben Moment den Fahrradanhänger. Sofort hängt er sich mit einer Hand an den Griff und will losschieben – ich ergreife die Chance und schiebe mit. So kommen wir schließlich doch noch in Bewegung – und irgendwann auch nach Hause.

* Krumpfz hat vor ein paar Wochen beschlossen, dass nur noch der Fahrradanhänger das Mittel der Fortbewegung sein darf. Und sitzen will er darin auch nicht, sondern stehen! Wie ein römischer Feldherr in seinem Streitwagen sieht er dann aus.