Grundsätzlich halten mein Mann und ich uns ja für sehr tolerante Eltern: Ob Krumpfz am oder unter dem Tisch isst – uns doch egal! Ob er seine Fingernägel oder Fußnägel lackiert – soll er doch! Ob er Tom* oder Leneli* heiratet – Hauptsache, er ist glücklich!
Aber es gibt eine Sache, da hat auch unsere Toleranz Grenzen. Und das ist der FC Bayern München.
Der FC Bayern München ist für uns der Verein für seelenlose Erfolgsfans und heißt in unserem schwarzgelb-grünweißen Haushalt im besten Fall nur „Die Bauern“. Im schlimmsten Fall haben wir noch eine ganze Palette an Stadionsslang für diesen bajuwarischen Selbstherrlichkeitszirkus parat, die ich hier aber nun wirklich nicht niederschreiben mag.
Warum wir den Bauern – gelinde gesagt – nicht wohlgesonnen sind? Weil für uns Fußballfan sein nicht nur bedeutet, immer auf der Erfolgswelle mitzuschwimmen. Fußballfan sein, das heißt auch, mit dem SV Werder Bremen auswärts in der ersten Runde des DFB-Pokals gegen Heidenheim (damals in der dritten Liga!) unterzugehen. Oder mit Borussia Dortmund ins ungeliebte Sinsheim zu fahren und im zugigen Hoffenheimer Auswärtsblock bei schlechter Rindswurst (nie wieder!) einer ärgerlichen Niederlage des BVB zuzusehen. Oder Werder nach Freiburg zu folgen, wo die eigenen Nerven bis zur letzten Minute strapaziert werden, weil es um den Klassenerhalt geht. Kurz: Fußballfan sein, das heißt eben auch (und beim SVW häufig) Leiden.
Und das Leiden geht natürlich einher mit einer unerschütterlichen Treue zum Verein. Wir Eltern sind zwar beide als Grundschulkinder Fans unserer Vereine geworden, als diese noch jährlich um die Meisterschaft mitspielten und tatsächlich auch Meister wurden. Aber seither haben unsere beiden Vereine auch sportliche Tiefpunkte erlebt – Werder ist sogar zum zweiten Mal in der Vereinsgeschichte in die Zweite Liga abgestiegen. Und trotzdem sind wir nie auf die Idee gekommen, den Verein zu wechseln**. Mein Mann ist seit einigen Jahren sogar BVB-Mitglied – wenn auch vor allem deswegen, weil man so besser an Auswärtstickets kommt.
Insofern hatten wir für unsere Kinder schon immer den festen Plan, sie zu guten Fußballfans zu erziehen. Oder wie wir früher in unserer Fußballstammkneipe, dem „Bären“, immer zu sagen pflegten: „Wenn unser Kind Bayern-Fan wird, kommt es ins Heim!“ Und wir machten einen Deal: Derjenige unserer Vereine, der am Tag der Geburt des Kindes weiter vorn in der Tabelle steht, wird der Verein des Kindes (und ja, ich hatte bei Krumpfz tatsächlich noch kurz die Hoffnung, es könnte der SVW werden!).
Nun hatten wir aber bei dieser Abmachung nicht mit der Einflussmacht des Kindergartens gerechnet. Nachdem Krumpfz lange kein großes Interesse an Fußball (weder praktisch auf dem Platz noch theoretisch vom Sofa aus) gezeigt hatte, schwappte vor zwei Monaten recht unerwartet eine Welle der Fußballbegeisterung durch die Kindergartengruppe. Gefühlt von einem Tag auf den anderen kickten die Jungs, die bisher vor allem Polizei und Diebe gespielt hatten, im Kindergarten-Garten in Teams gegeneinander – und Krumpfz schoss nach eigener Aussage regelmäßig Tore für das Siegerteam.
Und so kam es, dass mir Krumpfz eines Morgens beim Kuscheln im Bett eröffnete, dass sein bester Freund Tom jetzt Bayern-Fan sei. Ich hatte bis dahin noch schlaftrunken zwischen Baby Pöffz und ihm gelegen – jetzt war ich schlagartig hellwach. Und alarmiert! Zu Recht, wie sich gleich herausstellte: „Und ich bin jetzt auch Bayern-Fan!“, eröffnete mir mein Sohn prompt. In meinem Kopf dröhnten jetzt alle Alarmglocken in ohrenbetäubender Lautstärke, während ich nach außen die coole Mutter gab, weil ich doch wusste, dass ein zu großer Widerstand Krumpfz erst recht in die Arme des Gegners treiben könnte. „Okay“, sagte ich darum nur. „Ich mag die ja nicht.“ „Warum nicht?“, fragte Krumpfz nun ehrlich interessiert. Und so setzte ich noch im Familienbett zu einem kurzen Vortrag an, der sich vor allem um das wahre Fansein (Leiden, Treue…siehe oben) drehte. Es nützte leider alles nichts: „Ich bin trotzdem Bayern-Fan“, sagte Krumpfz am Ende meiner Ausführungen – was ich durchaus verstehen konnte, denn wie soll ein Fünfjähriger begreifen, dass Siegen allein auch nicht glücklich macht?
Womit man Krumpfz aber momentan eigentlich immer überzeugen kann, ist mit Geschenken. Das weiß ich, weil Krumpfz besonders gern und besonders häufig mit meinen Eltern in die hiesige Buchhandlung geht – und zwar nicht etwa aus rein bibliophilen Motiven, sondern weil er weiß, dass dort mindestens ein Legoheft für ihn abfällt. Dieses Wissen machte ich mir jetzt zu Nutze, als Krumpfz seine neue Bayern-Leidenschaft gleich mit einer entsprechenden Trainingsjacke krönen wollte: „Ich will auch so eine Bayern-Jacke wie Tom!“, sagt er und guckte mich erwartungsvoll an. „Ja“, sagte ich, „kannst du haben. Aber die kaufst du dir von deinem Geld. Ich kaufe dir nix von den Bayern. Und ich geh mit dir auch nicht ins Stadion zu den Bayern.“ „Warum nicht?“ „Ich gebe keinen Cent für diesen Verein aus!“ Offensichtlich hatte ich meinen Punkt sehr klargemacht, denn augenblicklich zog Krumpfz ab nach unten, wo er auf meinen Mann traf, der gerade aus der Dusche kam. Dort wiederholte sich das Gespräch nochmal: Krumpfz erklärte ihm, dass er nun wie Tom Bayern-Fan sei und auch so eine Jacke wolle wie sein bester Freund. Und mein Mann wehrte sich entschieden dagegen, auch nur einen Cent für diesen Verein auszugeben oder gar zu einem Bayern-Spiel zu fahren (und ich wusste in diesem Moment wieder einmal, warum ich ihn geheiratet hatte). „Wenn du aber eine Trainingsjacke vom BVB haben willst, kaufe ich sie dir gerne“, lockte mein Mann ihn noch. Aber darauf sprang Krumpfz nicht an. Zumindest nicht sofort. Vielmehr ließ er das Thema erstmal fallen.
Am Nachmittag aber hatte sich das Blatt zu unseren Gunsten gewendet: „Mama, ich bin doch kein Bayern-Fan!“, erklärte Krumpfz nach dem Kindergarten. Wir Eltern waren ob dieser Nachricht so erleichtert, dass wir sofort eine schwarzgelbe Trainingsjacke für ihn bestellten, um einem etwaigen Rückfall unseres Sprosses vorzubeugen. Das stellte sich auch als absolut richtig heraus, gab es doch seither immer wieder Momente, in denen Krumpfz doch wieder mit dem Gedanken spielte, der rotweißblauen Versuchung des einfachen Erfolgs zu erliegen.
Um Krumpfz seinem neuen Verein näherzubringen, schlossen wir außerdem zwei Monate lang einen Pay-TV-Vertrag ab, um einige der letzten Spiele des BVB live zu sehen. Denn zum ersten Mal seit knapp elf Jahren war die Meisterschaft in der Bundesliga bis zum letzten Spieltag nicht entschieden und Dortmund hatte es selbst in der Hand, Meister zu werden. Die Bayern steckten in einer tiefen Sinnkrise (hatten sie doch vor der heißen Schlussphase kurzerhand ihren Trainer rausgeworfen und seither schon den DFB-Pokal verspielt als auch in der Champions League verloren) – es war die Gelegenheit, den Titel nach Dortmund zu holen.
Also saßen wir Eltern am letzten Spieltag um 15:30 Uhr mit Krumpfz vor der Bundesliga-Konferenz, während die Großeltern Miss Pöffz im Kinderwagen durch den sommerlichen Maitag schoben. Krumpfz und sein Papa hatten sich ihre BVB-Trikots übergestreift und wir waren uns alle mehr (ich) oder minder (mein Mann) sicher, dass der Sieg gegen Mainz 05 nur noch eine Formsache sein würde.
Doch dann kam es ganz anders: Schon nach 24 Minuten stand es 0:2 aus Sicht des BVB und auch in den nächsten 70 Minuten schafften die Dortmunder es nicht mehr, das Spiel zu drehen. Am Ende reichte ein 2:2 nicht für die Meisterschaft – die zum elften Mal in Folge (!) an die Bayern ging. Doch das sahen wir schon nicht mehr, denn da hatten wir den Fernseher längst ausgeschaltet.
Was Krumpfz aber an diesem Nachmittag lernte: Dass wahre Fanliebe eben auch Leiden heißt. Denn während sein Papa bei jedem Gegentor schimpfend das Wohnzimmer verließ, vergoss Krumpfz am Ende der 95 Minuten tatsächlich ein paar Tränen. Allerdings fasste er sich schnell wieder, schimpfte auf die „Kack-Bayern“ und beschloss trotzig, dass die Bayern ab jetzt „nie mehr gewinnen sollen“. Seither singt er regelmäßig „FC Bayern stinkt nach Eiern“ und hat beschlossen, dass er Torwart des BVB werden will, um den Kasten gegen die Bayern künftig immer freizuhalten. Kurzum: Die Investitionen in Trainingsjacke und Pay-TV haben sich gelohnt! Heja, BVB!
*die in Wirklichkeit anders heißen
**An der Stelle gehen Grüße raus an meine Mutter, die immer meinte, meine SVW-Liebe sei „nur eine Phase“ und die mir deshalb nie SVW-Bettwäsche schenken wollte.