„Du kannst dann jetzt gehen“, sagte Krumpfz und sah mir fest in die Augen. „Okay…“, sagte ich und zögerte. „Sollen wir nicht lieber noch warten, bis Mone* wieder da ist?“ „Nö!“
Es war Krumpfz‘ achter Tag im Kindergarten, als beim Abschied von mir keine Tränen mehr flossen. Zwar winkte mir Krumpfz‘ am Ende doch noch auf dem Arm seiner Erzieherin hinterher, als ich den Kindergarten verließ – allerdings leicht mechanisch mit dem Blick auf den Gruppenraum der Regenbogen-Kinder gerichtet und in Gedanken schon in der Bauecke.
Dass die Eingewöhnung in den Kindergarten nach einer guten Woche quasi abgeschlossen sein könnte, hätte ich vorher allenfalls insgeheim gehofft. Denn nach Monaten, in denen mein Mann, Krumpfz und ich wegen der Corona-Pandemie fast immer zu Hause waren, und den langen Sommerferien, die vor allem aus drei Wochen gemeinsamer Urlaubszeit bestanden, war Krumpfz so an uns Eltern gewöhnt, dass es für ihn hätte immer so weitergehen können.
„Mama, bleib‘ bei mich!“ war folglich in den Sommerferien auch einer der häufigsten Sätze meines Sohnes. An Tagen, an denen er besonders aufgeregt war, durfte ich teilweise nicht von seiner Seite weichen. Und davon gab es im August viele: der Tag vor Krumpfz‘ Geburtstag, Krumpfz‘ Geburtstag, der Tag vor der Abreise in den Norden zu meinen Eltern, der Tag vor der Abreise an die Nordsee, der Tag vor der Rückfahrt zum Haus meiner Eltern, der Tag vor der Rückfahrt nach Hause, der Tag vor dem ersten Tag im Kindergarten… Kurz gesagt: Ich war Krumpfz‘ sicherer Hafen in spannenden Zeiten – und nervlich manchmal ganz schön am Limit.
Weil Krumpfz so auf mich fixiert war, setze ich (wie gesagt) keine großen Hoffnungen in eine schnelle Kindergarten-Eingewöhnung – unsere erste gemeinsame (die Eingewöhnungen waren bisher Papa-Sache gewesen). Zum Glück zeigten die Erzieherinnen (trotz diverser anders lautender Corona-Verordnungen) großes Verständnis für Krumpfz‘ bisher eher holprige Fremdbetreuungskarriere und sein Bedürfnis nach langsamem Kennenlernen.
Um ehrlich zu sein: Sie hatten deutlich mehr Geduld mit ihm als ich. Obwohl ich mir fest vorgenommen hatte, entspannt zu bleiben, war ich schon am dritten Tag frustriert, weil Krumpfz nach zwei Stunden mit mir im Kindergarten nach Hause wollte, während die beiden anderen Kinder, die zur gleichen Zeit eingewöhnt wurden, schon allein bis nach dem Mittagessen im Kindergarten blieben. Mein gesamtes Repertoire an Abwehrmechanismen für solche Vergleiche war plötzlich lahmgelegt und ich ärgerte mich nun auch noch über mich selbst. Erst meine Freundin Lilo* konnte meinem Groll etwas entgegensetzen: „Er braucht die Zeit… und deine Begleitung. Und jeder hat seine Stärken und Schwächen“, schrieb sie mir, nachdem ich meinen Frust in ein paar knappen WhatsApp-Nachrichten bei ihr abgeladen hatte. Und weiter: „Ich glaube, man muss damit umgehen lernen, das ist die Challenge für uns!“

Sie hatte ja so Recht! Also versuchte ich einfach, alle Erwartungen, Hoffnungen, Befürchtungen und Sorgen auszublenden und ging weiter mit Krumpfz‘ in den Kindergarten. Dort saß ich (coronaverordnungskonform) mit Mund-Nasen-Schutz auf einem der kleinen Stühle und langweilte mich. Denn Krumpfz‘ war meist mit Mone lesen, essen oder in der Bauecke. Währenddessen baute ich mit Mila* Bauklotz-Türme auf meinen Füßen, spielte „Kuckuck!“ mit Tiana*, half Julian* in die Regenhose und Arold* beim Aufräumen.
Wehe aber, ich wollte den Raum verlassen! „Mama, bleib bei mich!“ Am vierten Tag der Eingewöhnung durfte ich nicht einmal allein auf Toilette gehen – Krumpfz‘ musste mit. Dass ich den Kindergarten verlassen durfte, schob er folglich immer weiter vor sich her: „Erst noch ein Buch lesen!“, „Erst, wenn wir in den Garten gehen!“, „Erst, wenn ich dir den Garten gezeigt habe!“. Am Ende der ersten Woche blieb ich schließlich ganz.
Mone* und ich beschlossen deshalb, Krumpfz zu Beginn der zweiten Woche vor vollendete Tatsachen zu stellen: Nach einer halben Stunde im Kindergarten und einer gemeinsamen Lektüre von „Charly bei der Feuerwehr“ erklärte ich Krumpfz, dass ich nun zur Arbeit gehen müsste (was ich nicht sagte: dass das in diesem Fall mein Schreibtisch zu Hause war). Er war sichtlich traurig: „Mama bleib‘ bei mich!“, flehte er mich an, dicke Tränen weinend. Ich schulterte trotzdem meinen Rucksack, nahm Krumpfz auf und in den Arm und trug ihn über den Außenbalkon vor dem Gruppenraum bis zur Treppe in den Garten. Dort musste ich ihn mit etwas Nachdruck Mone* in die Arme schieben und mich von ihm lösen. Noch immer weinte Krumpfz. Erst das gemeinsame Winken vom Balkon half ihm ein bisschen über den Abschied hinweg.
Kaum war ich zu Hause, klingelte mein Handy. Ich erschrak: Das Display zeigte die Nummer des Kindergartens an. „Hallo?“, sagte ich fragend ins Mikrofon. „Hallo, hier ist Mone!“ Oh nein, dachte ich, das hat nicht geklappt! „Ich wollte nur kurz bescheid sagen: Krumpfz hat sich sofort beruhigt, nachdem Sie um die Ecke verschwunden waren und jetzt spielt er in der Bauecke.“ Ich war erleichtert – und konnte tatsächlich arbeiten!
Am nächsten Tag schaffte Krumpfz den Abschied dann schon fast ohne Tränen. Und gestern war es dann so weit, dass Krumpfz mich, nachdem ich ihm zwei Bücher („Zauberklang der Ritterzeit“, „Wo wohnt der Osterhase?“) vorgelesen hatte, einfach nach Hause schickte. Zurück kam er gut gelaunt („Im Kindergarten ist es schön.“), etwas überdreht („Tschutschu fährt die Bombelbahn!“) und mit ersten neuen Wörtern („Bäh!“ als Ausdruck für Ekel vor allerlei Essen, das er eigentlich mag). Daran müssen wir Eltern uns jetzt wohl im Gegenzug auch gewöhnen.
*die/der in Wirklichkeit anders heißt
Ein Gedanke zu “Eingewöhnung, die dritte”