Ich bin in einem Haus voller Geschichten großgeworden. Seit ich denken kann, hat mir meine Mutter – auf dem Fußboden des Kinderzimmers sitzend, den Rücken an die in kalten Monaten wärmende Heizung gelehnt – jeden Abend aus Büchern vorgelesen. Vor allem an unsere Ausflüge in die Welt Astrid Lindgrens habe ich zum Teil noch lebhafte Erinnerungen – so zum Beispiel an den Abend, als wir am Ende der Geschichte der „Brüder Löwenherz“ beide vor Rührung weinen mussten.
Mein Vater hingegen hat mir nicht so oft Geschichten vorgelesen – er hat sie lieber selbst erfunden. Meistens war das sonntags der Fall, wenn ich mich zu ihm ins Bett meiner Eltern kuscheln durfte, um Mittagsschlaf zu machen. Von letzterer Vorgabe war ich nie wirklich begeistert, weswegen ich meinen Vater immer dazu zu überreden versuchte, mir eine Geschichte nach der anderen zu erzählen. Um aus dieser Misere einen Ausweg zu finden – und um mich zu ärgern – erfand mein Vater deshalb irgendwann die „Geschichte vom Taucher“, die in ihrer Reinform folgendermaßen geht:
„Es war einmal ein Taucher – gluckgluck, weg war er!“
Ich war natürlich als Kind immer schrecklich empört, wenn mein Vater auf meine Aufforderung nach einer Geschichte erstmal den blöden Taucher hervorholte – und das zunehmend eingebettet in zunächst vielversprechende Geschichtsanfänge. Ich erinnere mich zum Beispiel an folgende Taucher-Episode: „Es war einmal an einem wunderschönen, sonnigen Morgen. Auf einer Wiese, auf der viele Blumen wuchsen, lag noch der Tau. Auf einem Blatt war ein besonders großer Tautropfen, der im Sonnenlicht nur so funkelte. Und da hinein sprang ein Taucher – gluckgluck, weg war er!“ Nichtsdestotrotz blieb der Taucher Teil unseres Geschichtenuniversums.
Seit letztem Herbst hat nun Krumpfz auch seinen ganz persönlichen Geschichtenheld: Fuchsi. Alles fing damit an, dass wir im Spätsommer auf einem der unzähligen Kinderkleiderbasare waren und dort eine Frau, die „Fit Dank Baby“-Kurse bewarb, in der Schlange der Wartenden vor der Halle kostenlose Werbetütchen verteilte. Darin fand sich neben allerlei Nutzlosem auch eine kleine Fingerpuppe: ein roter Fuchs. Krumpfz wollte sie natürlich sofort haben und schon auf der Fahrt nach Hause ließ er sie nicht mehr los. Wir nannten den Fuchs – kreativ wie wir sind – Fuchsi. Er wurde zu Krumpfz‘ treuem Begleiter.

Fuchsi musste fortan überall mit hin – vor allem aber mit ins Bett. Vergaßen wir zum Beispiel, Fuchsi morgens mit in die Kita zu geben, war Krumpfz kaum zu einem Mittagsschlaf zu bewegen. Auch abends musste Fuchsi – zusammen mit allerlei Spielzeugautos und gut zugedeckt – mit in unserem Bett einschlafen.
Umso größer war der Schock, als ich Krumpfz eines regnerischen Morgens ausnahmsweise mit dem Auto zur Kita brachte und in der Hektik irgendwo Fuchsi verlor. Schon beim Abgeben meines Sohnes in der Kita merkte Krumpfz, dass Fuchsi nicht da war. Ich versicherte ihm, dass ich Fuchsi bestimmt wiederfinden würde, bis ich Krumpfz wieder abholen würde. Doch obwohl ich anschließend den Hof vor der Kita, das gesamte Auto und unsere Garage bis in die hintersten Winkel durchsuchte – Fuchsi blieb verschwunden. Ein weinendes Kind und schlaflose Nächte vor Augen beauftragte ich meinen Mann umgehend mit der Bestellung eines neuen Fuchsi-Exemplars im Internet.
Tatsächlich blieb der alte Fuchsi verschwunden – so dass wir sehr froh waren, dass der neue Fuchsi dank Express-Lieferung schon zwei Tage später bei uns eintraf. Zum Glück nahm Krumpfz den neuen Fuchsi ohne mit der Wimper zu zucken an und schloss ihn genauso ins Herz wie seinen Vorgänger.
Allerdings war Fuchsi nicht allein geliefert worden: Ihn gibt es nur in einem Paket mit zwei anderen Fingerpuppen – einem Frosch („Fröschli“) und einem Eichhörnchen („Hansi“) – zu kaufen. Beide Puppen hoben wir Eltern für den Adventskalender auf, aus dem sie Krumpfz in der Weihnachtszeit schließlich etwas zerknautscht befreite.
Bereits vorher begannen wir – oder besser gesagt: vor allem mein Mann – Geschichten rund um Fuchsi zu spinnen. Jede Geschichte beginnt dabei so:
„Es war einmal ein kleiner roter Fuchs, der wohnte mit seiner Familie unter einer alten Eiche. Und sein Name war: Fuchsi.“
Oft bestimmt Krumpfz, wie die Geschichte weitergeht – was dazu führt, dass Fuchsi regelmäßig mit dem Traktor des Bauern von nebenan unterwegs ist. Mal muss er eine vom Sturm umgewehte Eiche mit dem Forsttraktor abtransportieren, mal mit Traktor und Pflug dem Bauern auf dem Feld helfen. Natürlich kann Fuchsi auch noch allerhand andere Fahrzeuge fahren. Neulich erst hat er mit einem Bagger einen Krötentunnel ausgehoben. Mit dabei sind auch seine Freunde Fröschli, Hansi und Pu (dem Bären – einem Relikt aus frühen Tagen unserer Beziehung), die inzwischen auch allerlei Fahrzeuge fahren können.
Krumpfz ist folglich ziemlich begeistert von Papas Fuchsi-Geschichten und kann – vor allem abends, wenn er partout nicht schlafen gehen will – gar nicht genug davon bekommen. „Noch eine allerletzte!“, fordert er also, kaum dass mein Mann eine Fuchsi-Geschichte zu Ende gebracht hat. Natürlich ist die allerletzte Geschichte dann aber immer noch nicht genug und Krumpfz will „Noch eine allerletzte!“.
Das hat nun vor gut zwei Wochen dazu geführt, dass ich – als ich „noch eine allerletzte“ Geschichte erzählen sollte – einfach in die elterliche Trickkiste gegriffen und die Taucher-Geschichte erzählt habe. Beim ersten Mal war Krumpfz einfach nur verdutzt. Nach ein paar weiteren Taucher-Geschichten (an den nächsten Tagen) aber kapierte er langsam, dass der Taucher jede Erzählung abrupt beendet. Deswegen wünscht sich Krumpfz jetzt immer „Noch eine allerletzte – mit ohne Taucher!“. Ich kann es natürlich trotzdem nicht lassen, ihm immer mal wieder einen Taucher unterzujubeln. Denn so ein Taucher darf in keinem Geschichtenuniversum fehlen.
Ein Gedanke zu “Fuchsi und der Taucher”