Linsen pinsen

Allgemein

Wir wohnen hier ja mitten im Schwäbischen. Das bedeutet nicht nur, dass hier alle alles außer Hochdeutsch können, sondern auch, dass wir eine enge kulinarische Beziehung zu Linsen haben. Denn eins lernt man als „Neig’schmeckte“ hier schnell: Linsen mit Spätzle gehen immer! Sie sind die sichere Bank, wenn man irgendwo zum Essen einkehrt und sich der Künste des Kochs nicht sicher sein kann. Selbst die Mensa unserer Unistadt konnte viele Gerichte bis zur Unkenntlichkeit verkochen – Linsen und Spätzle hingegen trotzten selbst der gröbsten Behandlung durch das mürrische Küchenpersonal und waren immer genießbar.

Zu Hause haben wir Linsen mit Spätzle noch nie selbst gekocht. Nichtsdestotrotz haben Linsen inzwischen Einzug in unseren Alltag gehalten. Und zwar als Spielmaterial.

Alles begann mit Krumpfz‘ Leidenschaft für Spielzeugautos. Kaum war er in die Krippe eingewöhnt, entdeckte er die kleinen Autos, Baustellenfahrzeuge und Landmaschinen für sich. Zu Hause hatten wir noch streng darauf geachtet, dass Krumpfz keines dieser Miniaturvehikel in die Hände bekommt – schließlich stand auf jeder Verpackung, dass diese kein Spielzeug für Kinder unter drei Jahren seien! Als sich unser Sohn jedoch jeden Morgen in der Kita sofort zu Plastik-Parkgarage und Fahrzeugkiste aufmachte und die Erzieherinnen dies mit entspannter Miene begleiteten, gaben wir auch zu Hause langsam nach. Den ersten kleinen Bagger brachten Krumpfz und ich aus dem hiesigen Second-Hand-Laden mit. Der Baggerarm war schon ziemlich ausgeleiert und an der Schaufel fehlten bereits zwei Zähne. Trotzdem war dieser gelbe Minibagger fortan Krumpfz‘ großes Glück. Ich erinnere mich noch, dass er ihn teilweise zum Einschlafen mit ins Bett nahm (und ich dann nachts wach wurde, weil mir plötzlich der Metallkörper des Baggers in die Seite piekste). Auch in unseren Fasnetsflucht-Urlaub auf Mallorca vor einem Jahr trug Krumpfz den kleinen Bagger so gut wie immer bei sich – bis schließlich die Schaufel ganz abbrach und der Bagger damit quasi seine Bestimmung verlor.

Zurück in der Heimat wurde der gelbe Minibagger durch das exakt gleiche Modell ersetzt. Zudem führte die anbrechende Flohmarkt-Saison gepaart mit einer anhaltenden Begeisterung für alles, was Räder hat, dazu, dass Krumpfz‘ Fuhrpark stetig wuchs. Jetzt, gut ein Jahr später, zähle ich hier 84 kleine Rennautos, Traktoren, Nutzfahrzeuge, Bagger, Kipplaster, Anhänger und was nicht noch alles. Und da sind die Bruder-, Playmobil- und Duplo-Fahrzeuge noch gar nicht mitgezählt.

Parallel zum wachsenden Fuhrpark entdeckte Krumpfz in der Krippe eine große Wanne voller Reis für sich: Die „Reissteine“ konnte man prima mit dem Minibagger in die Kipplaster und Anhänger schaufeln – was Krumpfz mit einer so großen Ausdauer und Begeisterung betrieb, dass wir schließlich auch zu Hause ein Tablett mit Reis zum Schaufeln bereitstellten.

Allerdings wurden wir Eltern schnell der Illusion beraubt, dass der Reis auf dem Tablett blieb. Fortan mussten wir abends nicht nur Kieselsteine, sondern auch noch Reiskörner vom Wohnzimmer-Boden aufklauben. Deswegen verschwand das Reistablett recht bald wieder.

Irgendwann im letzten Herbst aber kam mein Mann nach einem Einkauf im Supermarkt mit einer Packung Linsen nach Hause – natürlich nicht zum Kochen, sondern für Krumpfz. Schließlich sähen die Linsen viel mehr nach Baustelle aus, als der Reis, argumentierte er.

Seither sind ca. 350 Gramm Linsen (Gewicht täglich abnehmend!) Krumpfz‘ tägliches Spielmaterial. Schon morgens nach dem Aufstehen fordert Krumpfz uns zum „Linsen spielen“ auf, was bedeutet, dass die am Vorabend mühevoll zusammengeklaubten Linsen auf einen Haufen geschüttet und dann mit allerlei Baustellenfahrzeugen bearbeitet werden. Wir Eltern bekommen dafür in der Regel den alten, gelben Radlader zugewiesen, in dessen Schaufel nur ca. 10 Linsen passen. Mit diesem dürfen wir damit mühevoll einen Kipplaster beladen, den Krumpfz dann an fast identischer Stelle wieder entleert. Währenddessen schaufelt Krumpfz mit dem großen Radlader und Bagger ebenfalls Linsen in Traktor-Anhänger und John-Deere-Kipper, die dann auch an gleicher Stelle ihre Ladung wieder auskippen. Für einen Erwachsenen (mich) macht das keinen Sinn, für Krumpfz aber ist es scheinbar die erfüllendste Aufgabe überhaupt. Stundenlang baggert er Linsen von A nach A. Mit seinem Papa hat er längst seinen eigenen Begriff für diese Tätigkeit entwickelt: das „Linsenpinsen“.

Anfangs hat mich das „Linsenpinsen“ schrecklich gelangweilt – das Baggern ohne Ziel erschien mir als reine Zeitverschwendung. Nachdem Krumpfz aber im letzten Monat sowohl Magen-Darm- als auch grippekrank war und teilweise vor Wut über die Erkrankung die Linsen wirklich überall (wirklich überall!) hinschmiss, weiß ich ein friedliches „Linsenpinsen“ nun sehr zu schätzen. Und nach einem stressigen Arbeitstag fühlt es sich sogar manchmal so an, als würden wir mit den Baustellenfahrzeugen auf unserem Wohnzimmer-Teppich einen Miniatur-Zen-Garten erschaffen. Vielleicht sollten wir uns das als schwäbische Entspannungsmethode patentieren lassen – kosch‘ ja ned viel.

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2 Gedanken zu “Linsen pinsen

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