Seit einem halben Jahr ist Krumpfz Petrologe. Oder anders gesagt: Steinkundler. Oder nochmal anders gesagt: Steinsammler. Das Ergebnis: Wir sind inzwischen eine steinreiche Familie und können nicht nur ein Kilogramm Bachkiesel, sondern auch verschiedenste Gesteinsbrocken und -bröckchen unser Eigen nennen. Das hatten wir so nicht kommen sehen.
Zu Beginn von Krumpfz‘ petrologischer Leidenschaft waren wir Eltern noch sehr erfolgreich, die zum Teil mit Pinzetten-Griff mühevoll geborgenen Exponate unseres Sohnes außerhalb der Wohnung zu belassen. So konnte man die ersten Mini-Steine, die Krumpfz mühevoll aus den Fugen der Pflastersteine vor unserem Haus kratzte und uns dann stolz präsentierte, noch in einem unbeobachteten Moment im nächsten Blumenbeet verschwinden lassen. Er vermisste sie anschließend nicht, sondern war schon mit der Bergung der nächsten Handvoll Steine beschäftigt. Inzwischen allerdings hat Krumpfz eine enge Beziehung zu gefühlt jedem seiner Steine aufgebaut. Der Verlust eines Einzelnen kann in die Apokalypse führen. Deswegen verteilen sich seine Schätze inzwischen nicht nur in Buggy, Fahrradanhänger und Kita, sondern auch in unserem Wohnzimmer. Einige Steine müssen sogar abends – gut im Anhänger seines Spielzeug-Traktors verstaut – mit in sein Gitterbettchen.
Begonnen hatte alles im Frühjahr auf der Insel Mallorca. Dort bewohnten wir weit weg vom Ballermann-Tourismus eine kleine Finca mit riesigem Garten. In letzterem befand sich ein kleines Spielhäuschen mit unendlich viel Spielzeug. Wir Eltern glaubten, uns damit ein paar ruhige Minuten auf der Sonnenliege erkaufen zu können. Tatsächlich aber war das Spielzeug (bis auf den kleinen, rosafarbenen Buggy, den es dort gab und der der Anfang einer bis jetzt andauernden Buggy-Begeisterung war) insgesamt eher uninteressant für unseren Sohnemann. Stattdessen saß er täglich und mit anhaltender Begeisterung auf dem zur Finca führenden Weg mit weißen Schottersteinchen. „Deine!“, rief er dann immer wieder aus und vergrub dabei seine bald kalkweißen Händchen in den Kieseln. Kurz darauf begann er dann, das Puppengeschirr aus der Kinderküche mit ebendiesen zu füllen. Saß ich morgens auf der Sonnenliege, dauerte es nicht lange, bis mir Krumpfz ein paar weiße Steinchen auf Mini-Tellern oder in Mini-Tassen kredenzte. Aber auch der Terrasse, dem Rasen und dem Puppenhaus führte Krumpfz ausdauernd immer wieder neue Stein-Portionen zu. Die Folge: Abends, wenn der Kleine endlich schlief, kroch ich im Halbdunkel über Terrasse und Rasen, um die Steine aufzusammeln und in die Einfahrt zurückzubefördern. Was für eine Sisyphusarbeit!
Zu Hause in Deutschland machte die Stein-Leidenschaft unseres Sohnes dann glücklicherweise erst einmal eine Pause. Was vermutlich auch am kühlen Frühlingswetter und einer gleichzeitig bei ihm einsetzten Aversion gegen Sand und Dreck im Allgemeinen gelegen haben mag. Wir Eltern atmeten auf und hofften auf das Ende dieser Phase.
Doch dann wollten wir eines Samstagnachmittags kurz in den Baumarkt, um die jährliche Balkonbepflanzung einzukaufen… was damit endete, dass mein Mann schon mal mit dem Einkauf nach Hause fuhr, während ich mit Krumpfz noch eine gute halbe Stunde vor dem Baumarkt bei den Schalen mit den Test-Kieseln für die momentan so trendige Beetentgrünung saß und aufpasste, dass Krumpfz die weißen, schwarzen, roten und bunt gemischten Steinchen bloß nicht zu sehr durcheinanderbrachte.
Kurze Zeit später fuhren wir wieder in den Urlaub, dieses Mal auf die Nordseeinsel Texel. Dort fanden sich nicht nur unzählige Steine am Strand, sondern vor allem in der Umrandung unseres Ferienhauses. Und sofort war Krumpfz‘ petrologische Leidenschaft neu entflammt. Die grauen, spitzen Mini-Steine in der Rinne vor der Terrassentürschiene wurden zu Krumpfz‘ liebsten Ausgrabungsobjekten. Mit der Schaufel, aber auch mit den bloßen Händen, machte er sich eines Abends so emsig ans Werk, dass er am Ende blutige Fingerknöchel hatte und wir Eltern (die bei einem so still vor sich hinspielenden Kind hätten längst misstrauisch werden müssen!) eine Not-Desinfektion durchführen mussten. Noch eine Woche später waren die Spuren dieses Rausches an Krumpfz‘ Händen sichtbar.
Kaum wieder zu Hause, begann Krumpfz, auch auf unserem Balkon die spitzen Steinchen in der Entwässerungsrinne auszuheben. Dieses Mal waren wir jedoch sofort alarmiert. Der Abend endete in einem Ausgrabungsverbot und einem kräftigen Wutanfall ob dieser schieren Ungerechtigkeit.
Um die Wogen zu glätten und weitere Wutausbrüche rund um unsere steinige Entwässerungsrinne zu vermeiden, bestellte mein Mann wenige Tage später in einem Moment der Kapitulation das besagte Kilo Bachkiesel im Internet. Seither haben wir ein mit seinen Steinen glücklich vor sich hinspielendes Kleinkind – und jeden Abend die Aufgabe, die in der Wohnung verteilten Steine wieder einzusammeln. Schon längst in der Restbestand auf deutlich unter ein Kilo Gewicht zusammengeschrumpft. Den letzten Verlust hatten wir diese Woche zu beklagen, als Krumpfz sich die ehrgeizige Aufgabe stellte, mit Spielzeug-Traktor und -Anhänger voller Steine die Treppe der Kita hinunterlaufen wollte. Er war untröstlich, als er drei Steine an die Ritze zwischen Hauswand und Treppenstufen verlor. Zum Glück konnte ich die drei verschollenen Stein-Schätze durch ähnliche Exemplare aus der Entwässerungsrinne am Ende der Treppe ersetzen. Der Tag war gerettet.
Auch unter unserem Sofa liegen vermutlich etliche Bachkiesel, nachdem Krumpfz mehrere Tage ausdauernd das Spiel „Ich stecke alle Steine in die Sofaritzen!“ spielen musste. Wir haben es aufgegeben, sie alle wiederzufinden. Spätestens, wenn wir mal aus dieser Wohnung ausziehen, werden wir ihn bergen: Krumpfz‘ Steinschatz.
Ein Gedanke zu “Steinreich”