Der Picknicker

Allgemein

Es ist schon eine Weile her, da hatte Krumpfz plötzlich genug: genug vom brav-den-Mund-Aufmachen, genug vom ferngesteuerten Plastiklöffel vor seiner Nase, genug von pürierten Gemüse, Fleisch und Fisch. Kurzum: genug von der Breikost. Quasi über Nacht quittierte er den schieren Anblick des Breis in seinem Schälchen mit lautem Protest und nahm dann nur noch widerwillig ein paar Löffel Püriertes in den Mund – wobei spätestens der sechste sofort wieder ausgespuckt wurde.

Ich war zunächst irritiert: Schmeckte es ihm nicht? Hatte ich ein falsches Gemüse-Fleisch-Verhältnis gewählt? Zahnte mein Sohnemann? Stand eine Erkältung – ja vielleicht sogar Grippe – bevor? Oder ein Entwicklungsschub? Oder stand vielleicht der Mond in einem ungünstigen Winkel zur Sonne?

Da ich von Krumpfz altersbedingt keine Antworten auf meine Fragen bekam, kochte und zerkleinerte ich ein paar Tage weiter unbeirrt Brei aus Biogemüse, Rapsöl und Fleisch. Das allerdings schien die Wutanfälle meines Sohnes nur noch weiter zu befeuern: Jeden Mittag geriet er noch mehr in Rage, wenn ich ihm sein Mittagessen vorsetzte. Selbst sein Lieblingsbrei (Pastinake, Karotte, Kartoffel, Lachs) stellte da keine Ausnahme dar.

Ich war genervt. Und auch ein bisschen wütend – schließlich hatte ich mir doch immer so viel Mühe mit dem Zubereiten seines Breis gegeben! Zum Glück fiel mir schnell wieder ein, dass ich es hier immer noch mit einem gerade mal elf Monate alten Baby zu tun hatte. Also las ich mich abends nochmal in die Thematik Beikost ein (wie ich es immer tue, wenn ich nicht weiter weiß) und stieß dabei wieder auf den Ansatz des Babyled Weanings (BLW), wonach Babys von Beginn an keinen Brei bekommen sollen, sondern (soweit verträglich) das Gleiche wie die Erwachsenen – nur eben als babygerechtes Fingerfood. Das BLW hatte mich von Beginn an fasziniert und natürlich hatte ich es schon recht früh mit Krumpfz ausprobiert. Allerdings hatte ich das Experiment nach wenigen Versuchen abgebrochen – es hatte sich in Ermanglung von Zähnchen in Krumpfz’ Mund als doch sehr mühsam und deshalb wenig nahrhaft entpuppt.

Da Krumpfz aber in der Zwischenzeit sowohl seine ersten Zähne bekommen als auch die Fähigkeit, Essbares auch mit Zunge und Gaumen zu zerdrücken, erworben hatte, wollte ich es noch einmal mit dem BLW versuchen und kochte am nächsten Tag für uns beide eine Mischung aus verschiedenen Gemüsestiften. Und was soll ich sagen? Das war das Aha-Erlebnis – sowohl für Krumpfz, als auch für mich! Mit sichtlichem Vergnügen ließ er das vom Rapsöl glitschige Gemüse erst durch beide Hände gleiten, bevor er es sich danach – etwas unbeholfen noch – genüsslich und mit wohlwollendem Brummen in den Mund schob. Und als Krumpfz dann noch sah, dass er das gleiche Essen auf dem Teller hatte wie ich, wuchs er vor Stolz gleich ein paar Zentimeter auf seinem Hochstuhl in die Höhe.

Seither isst Krumpfz selbst – und ich wünsche mir nichts sehnlicher als die Erfindung eines Innenraum-Hochdruckreinigers! Denn natürlich ist Krumpfz’ Feinmotorik noch lange nicht so ausgefeilt, dass jeder Happen im Mund landet. Das ist vor allem dann der Fall, wenn wir so diffizile Kohlenhydratspender wie Reis essen oder das Essen eine flüssigere Konsistenz aufweist (wie etwa Nudeln Bolognese). Darüber hinaus muss Krumpfz gerade neue Lebensmittel dem Schwerkraft-Test unterziehen und sie von seinem Hochstuhl aus auf unseren Parkettboden fallen lassen (Es könnte ja schließlich sein, dass so eine Kartoffelspalte leichter ist als Luft!). Neuerdings übt er zudem das Hantieren mit Gabel und Löffel, was bisher noch selten erfolgreich ist und dafür regelmäßig den Radius der Essenskleckse um seinen Stuhl herum erheblich erweitert (Löffel = Katapult!).

Ich lasse ihn trotzdem meist gewähren (es sei denn, er matscht nur noch herum), denn Krumpfz hat seither wieder sichtlich Spaß am Essen. Stolz sitzt er zwischen uns Erwachsenen und isst das, was wir auch essen (oder besser: Wir essen jetzt das, was er isst) – und das so gut, dass er inzwischen richtig satt davon wird.

Allerdings hat Krumpfz’ Essstil einen Nachteil: Wir können gerade nirgends mit ihm Essen gehen. Das wurde uns allerdings (wie so oft als junge Eltern) erst klar, als es schon zu spät war. Nämlich im Restaurant.

Es war ein Samstag Ende Juli und wir hatten spontan beschlossen, mit Krumpfz einen Ausflug auf einen Bauernhof im Schwarzwald zu machen. Der Plan war, dort erst in der von der Bauersfamilie betriebenen Vesperstube Mittag zu essen und dann mit Krumpfz nach seinem Mittagsschlaf Tiere anzugucken. Doof nur, dass die Vesperstube zu hatte, als wir ankamen! Also mussten wir spontan umplanen und fuhren auf der Suche nach einem Restaurant in den nahegelegenen Ort.

Tatsächlich fanden wir recht schnell eine Gaststätte mit rustikalem Pub-Ambiente, die uns spontan gefiel. Da wir um Krumpfz’ Essverhalten wussten, entschieden wir uns für einen Platz im Biergarten und für Spätzle ohne Soße für den Sohnemann. Womit wir nicht gerechnet hatten: Gerade als uns das Essen serviert wurde, begann es zu regnen – ein für diesen Sommer ja sehr seltenes Naturschauspiel! Schnell flüchteten wir mit den anderen Gästen in den Gastraum.

Dort stellte sich uns sofort ein neues Problem: Krumpfz wollte seine Spätzle! Und zwar sofort! Mit den eigenen Händen! Kurz versuchten mein Mann und ich noch, ihn zu füttern, aber er begann sofort zu zetern. Um den Friedens aller Gäste Willen ließen wir ihn gewähren – und sahen mit zunehmendem Unbehagen dabei zu, wie Krumpfz seine Umgebung mit einer fettigen Spätzleschlange nach der anderen dekorierte: den Hochstuhl, das Sitzkissen, den Tisch, den Holzfußboden… Zwar versuchten mein Mann und ich, das Ausmaß der Verwüstung durch regelmäßiges Einsammeln der Spätzle in Grenzen zu halten, doch am Ende waren überall um uns herum Spätzle verteilt. Die Kellnerin, die uns anfangs noch freundlich empfangen hatte, warf uns zunehmend böse Blicke zu und räumte schließlich wortkarg unsere Teller ab, ohne danach nochmal an unseren Tisch zurückzukehren.

Wir säuberten so schnell es ging Kind, Tisch und Boden mit allen verfügbaren Servietten und machten uns nach beglichener Rechnung und einem entschuldigenden Lächeln auf den Weg zum Bauernhof. Seither steht fest: Bei den nächsten Ausflügen gehen wir picknicken!

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