Gestern habe ich ein Paar aus unserem Geburtsvorbereitungskurs wiedergetroffen. „Und, wie heißt denn euer Sohn?“, fragte der Vater des inzwischen 10 Wochen alten Elias. Ich nannte Krumpfz’ Namen. „Ach, wie der Rennfahrer?“ „Nein, Krumpfz wie Krumpfz.“ Mein Gegenüber schaute verdutzt – begnügte sich aber anscheinend damit, dass ich mit meiner Antwort die Individualität meines Sohnes hatte betonen wollen. Was aber gar nicht stimmte. „Krumpfz wie Krumpfz“ sollte vielmehr heißen, dass der Name meines Sohnes tatsächlich nicht einfach so vom Himmel gefallen ist.
Als Lehrerin hat man es mit der Namenssuche von Haus aus nicht leicht. Zu viele Namen sind bei mir schon auf irgendeine Weise besetzt. Und nein, ich spreche nicht von Kevin. Die meisten Kevins, die ich kenne, sind tatsächlich ziemlich in Ordnung – nur eben nicht gerade die Helden bei der Entschlüsselung der Werke von Gryphius, Schiller oder Borchert.
Es gibt aber noch viele andere Namen, mit denen ich einen Schüler verbinde. Und das disqualifiziert den Namen dann leider meist. Nicht falsch verstehen, ich mag meine Schüler. Aber so war ein Favorit meines Mannes, „Hendrik“, schon früh vom Tisch, weil ein solcher eben just in meiner 10. Klasse saß. Wobei „sitzen“ da nicht das richtige Wort ist. Er hing dort auf Stuhl und Tisch – müde, unmotiviert und planlos. Nur mit Diskussionen über die neuen Star Wars-Filme konnte ich ihn kurzfristig zum Leben erwecken („Waaaaahaas? Sie fanden Episode 7 gut? No way!“). Ansonsten stoppte ihn seine Unlust vor den geistigen Höhenflügen, zu denen er in der Lage gewesen wäre.
Oder der Vorschlag meiner Schwiegermutter – „Jakob“: ein ganz nerviger Typ! Saß bei mir in Medienbildung in Klasse 7 und weigerte sich standhaft zu akzeptieren, dass man Wikipedia-Texten nicht immer glauben und sie schon gar nicht eins zu eins für eine Hausarbeit abschreiben kann. Dazu ist er ein ausgewiesener Pilz-Nerd und kennt einfach ALLE heimischen Pilzarten. Einen gefühlt nie enden wollenden Monolog darüber durfte ich mir beim Wandertag von ihm anhören (wobei sein Wissen vielleicht auch von Wikipedia stammte).
Und so reduzierte sich die Auswahl der möglichen Namen für unser Baby schon zu Beginn der Findungsphase deutlich. Der Name „Krumpfz“ war aber ebenso früh gefunden. Und zwar auch, weil ich einen Schüler mit eben diesem Namen hatte. Er hat inzwischen Abitur und studiert – und er war Klassensprecher in meiner ersten eigenen Klasse.
Schon in der ersten Stunde konnte ich mir den Namen von Krumpfz’ Namensvetter gut merken. Stellte er sich doch mit einem Grinsen als HSV-Fan bei mir vor, nachdem ich mich als Werder Bremen-Fan geoutet hatte. Natürlich saß er mit seinen Buddys in der letzten Reihe – und klopfte Sprüche (bei denen ich mir oft ein Lachen verkneifen musste und manchmal dabei scheiterte). Klar, dass er zum Klassensprecher gewählt wurde – die größten Schreihälse einer Klasse gehen erfahrungsgemäß immer als Favoriten ins Rennen um den Posten.
Krumpfz’ Namensvetter und ich trugen in den zwei Jahren so manches Wortgefecht um die Vorherrschaft im Klassenzimmer aus. Es verging keine Stunde, in der ich ihn nicht ermahnen musste, weil er seine verlaute Klappe nicht halten konnte. Einmal unterbrach er mich so oft, dass ich ihm den Tausch der Rollen anbot. Er nahm zu meiner Überraschung die Herausforderung an und übernahm die Sicherung der Ergebnisse aus dem Arbeitsauftrag an der Tafel, während ich hinten im Klassenzimmer Platz nahm. Amüsiert sah ich mir seine unbeholfenen Versuche, die Interpretationsgedanken seiner Mitschüler an der Tafel zu bündeln, an, bis sich eine Schülerin nach zehn schier endlosen Minuten umdrehte und mich anflehte, wieder weiterzumachen: „Das ist nicht auszuhalten!“
Weil Krumpfz’ Namensvetter auch immer mal Konflikte mit Mitschülern hatte, gab es hin und wieder ein Gespräch zwischen vier Augen mit ihm. Und da merkte ich, dass der große Sprücheklopfer eigentlich das Herz am rechten Fleck hat. Er muss auch gemerkt haben, dass ich nicht ganz so furchtbar bin – auf jeden Fall entwickelte sich zwischen uns ein wirklich gutes Verhältnis. Was allerdings nicht hieß, dass er meinen Unterricht weniger störte. Und das blieb bis zum Abitur so.
Wir haben noch heute Kontakt – und Krumpfz’ Namensvetter kommt auch immer noch ab und zu in der Schule vorbei, um Hallo zu sagen. Vor der Geburt von Krumpfz schenkte er mir mit seiner Familie eine selbstgenähte Wickeldecke und Windeltasche. Und auf der beiliegenden Karte schrieb er: „Don’t worry, mich haben Sie auch hinbekommen!“
Dass er seinen Namen für meinen Sohn überhaupt ins Rennen gebracht hatte, wusste er da natürlich nicht. Tatsächlich wäre der Name ohne ihn aber wohl nie so in mein Bewusstsein gedrungen. Dass mein Mann den Namen auch noch schön fand, ließ am Ende die Wahl auf „Krumpfz“ fallen. Als ich meinem Ex-Klassensprecher nach der Geburt eine Mail schrieb und ihm erzählte, dass mein Sohn den gleichen Namen wie er trägt, schrieb er zurück: „Dass der Kleine so heißt und das ganze Schlamassel mir zu verdanken hat, macht mich stolz.“ Und ich hoffe, dass Krumpfz irgendwann auch das Herz am rechten Fleck hat. Eine HSV-Anhängerschaft werden wir Eltern ihm dagegen ganz sicher ausreden.