Begegnungen

Allgemein

Neulich – ich war mit Krumpfz auf dem Weg zum Rückbildungskurs – rollte mir morgens eine ältere Dame mit ihrer vierrädrigen Gehhilfe entgegen. Ich hatte es eilig, denn wir waren zeitlich sehr passend dran, um es an dieser Stelle mal euphemistisch auszudrücken. Sportlichen Schrittes wollte ich an der weißhaarigen Rentnerin vorbeiziehen, als sie plötzlich mit ihrem Rollator stehenblieb und unvermittelt fragte: „Na, wie alt ist Ihr Kleines denn?“ Dabei deutete sie auf die Beule unter meiner Jacke, wo Krumpfz – gegen die morgendliche Kälte gut geschützt – selig im Tragetuch schlief. Von diesem unvermittelten Gesprächsbeginn überrascht hielt ich abrupt an und verabschiedete mich in diesem Moment von einem pünktlichen Erscheinen beim Rückbildungskurs. „Sieben Wochen ist der Kleine“, antwortete ich. „Ach, diese Tragetücher sind was Tolles“, erklärte die Dame daraufhin wissend. „Meine Enkelin hat auch eine Tochter bekommen, die ist jetzt 2 Monate alt – und so friedlich, wenn sie im Tuch herumgetragen wird!“ Und so entspann sich ein Gespräch über die Vorteile von Tragetüchern, bevor die frischgebackene Uroma und ich uns noch einen schönen Tag wünschten und voneinander verabschiedeten.

Ich hatte während meiner Zeit als Kinderlose immer damit gerechnet, dass man als Mutter eines Säuglings mehr Aufmerksamkeit bekommt als vorher. Schließlich schreien Babys und gehen damit den Menschen in der Schlange an der Supermarktkasse, im Bus oder im Café gehörig auf die Nerven. Natürlich erntet man da Augenrollen oder Getuschel hinter vorgehaltener Hand („Die hat ihr Baby aber auch gar nicht im Griff! So klein und schon so verwöhnt!“). So dachte ich. Zumal Deutschland bei vielen nicht als kinderfreundliches Land gilt. Und zumal ich mich an einen Langstreckenflug in die USA erinnere, bei dem ich fast den Verstand verloren hätte, weil ein Säugling einige Reihen hinter mir ununterbrochen schrie.

Ich hatte deshalb innerlich schon den verbalen Kurzsäbel gezückt gegen all jene, die sich über Krumpfz – mein Baby! – beschweren würden. So zum Beispiel als mein Mann und ich mit Krumpfz den Bus vom Kinderarzt nach Hause nahmen und Krumpfz seinen Unmut über die Gesamtsituation (Aus- und Anziehen beim Kinderarzt, lange Fahrt im Kinderwagen, Scheißwetter) freizügig mit allen Mitfahrenden teilte. Uns gegenüber stand ein Mann, den ich etwas älter einschätzte als uns selbst. Während mein Mann und ich uns bemühten, Krumpfz das Monty Python-Credo „Always look on the bright side of life“ einzuflüstern, beobachtete der Mann uns eingehend. „Oh nein“, dachte ich „dem gehen wir schrecklich auf die Nerven!“ – und drückte uns innerlich kräftig die Daumen, dass sich Krumpfz bald beruhigen ließe. Doch unser Sohn zeigte sich gänzlich unbeeindruckt von unserer Argumentation („Ist doch alles nicht so schlimm.“, „Wir sind bald zu Hause.“, „Ohjeee…“, „Och joah…“) und schrie weiter. Die Blicke des Mannes ruhten noch immer auf uns. Schließlich hob mein Mann Krumpfz aus dem Kinderwagen und drückte ihn beruhigend an die Brust. Da wandte sich der Mann uns plötzlich zu und fragte gänzlich unerwartet: „Wie alt ist denn das Baby? Ein Junge oder ein Mädchen?“ Bereitwillig gab mein Mann die statistischen Daten zu Krumpfz bekannt. „Herzlichen Glückwunsch!“, erwiderte der Mann mit einem Lächeln. „Ich habe selbst einen Sohn,“ fuhr er fort und zeigte auf einen dunklen Lockenkopf, der sich bisher unbemerkt hinter einer Sitzlehne verborgen hatte. „Ein so kleines Baby ist etwas ganz Besonderes“, sagte er noch, bevor er uns alles Gute wünschte, sich von uns verabschiedete und ausstieg. Etwas perplex blieben wir zurück.

Den restlichen Heimweg konnte ich nicht anders, als zu lächeln. Dass sich jemand Fremdes so mit uns freut, hätte ich nie erwartet. Und tatsächlich war das nicht die letzte Begegnung dieser Art. Erst vorgestern war die Inhaberin des indischen Imbisses hier um die Ecke ganz verzückt, als ich mit Krumpfz im Tuch und etwas ausgehungert um ein Mittagessen zum Mitnehmen bat. Und heute war es der 45+-jährige Sohn unserer Nachbarin, der sich im Angesicht von Krumpfz daran erinnerte, wie er seine heute siebenjährige Tochter während seiner Elternzeit betreut hatte. „Meine Kleine…“, seufzte er mit einem etwas entrückten Blick und einem Grinsen.

So scheint es allen, die uns so freundlich begegnen, gleich zu gehen: Sie werden erinnert. An ihre Kinder, Enkel und Urenkel, die entweder so klein sind wie Krumpfz oder längst aus Tragetuch oder Manduca herausgewachsen sind. Und kurz sieht man bei ihnen das aufblitzen, was uns trotz unterschiedlichen Alters und verschiedener Lebenssituationen verbindet: die Liebe zum eigenen ((Ur-)Enkel-)Kind. Damit kann ich meinen verbalen Kurzsäbel wohl getrost im Waffenschrank verschließen. Und wer weiß – vielleicht wird er da ja tatsächlich verstauben.

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s