Eine Liebe zur Musik

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Wer mich kennt, der weiß: Ich singe nicht. Zumindest nicht, wenn mich andere hören können. Denn entgegen des Mantras meiner Musik-Kollegen „Jeder kann singen“ weiß ich: Ich kann es nicht. Ich habe keine elfenhaft-zarte Frauenstimme, sondern bin tonal irgendwo vor Barbara Schöneberger und Ina Müller einzureihen. Das hat durchaus Vorteile: So kann ich locker über den Lärm einer Horde von 30 Fünftklässlern brüllen. Und ich kann im Fußballstadion problemlos die Tonlage der immer noch männerdominierten Kurve anstimmen.

Trotzdem, einen großen Nachteil hat meine Stimme: Ich treffe zwar Töne, es sind aber selten die richtigen. Das merke ich nicht nur selbst, das sagt auch mein Mann. Er war allerdings nicht der Erste, der die Qualität meines Gesangs als eher mäßig bewertet hat. Und so mache bei Geburtstagsständchen oder in der Kirche den Karpfen. Das heißt: Ich bewege nur meine Lippen zum Gesang der anderen – das aber immerhin so gut, dass mich Florian Silbereisen eigentlich mal als Playback-Solistin in eine seiner hirnentleerten Shows einladen könnte.

Der einzige Ort, an dem man mich bisher laut und hemmungslos hätte singen hören können, war mein Auto. Ob auf dem Weg zur Arbeit oder auf der Autobahn – im Auto werde ich zur inbrünstigen Sängerin. Vorausgesetzt natürlich, ich bin allein im Auto. Und dann singe ich so laut und so losgelöst mit, dass ich schon mal das Geschwindigkeitslimit ignoriere oder an einer Autobahn-Ausfahrt vorbeifahre.

Nun bin ich aber seit einiger Zeit Mutter. Das bedeutet: Ich habe (zusammen mit meinem ebenfalls nicht sonderlich sangessicheren Mann) die volle Verantwortung für die musikalische Früherziehung von Krumpfz. Und die war in den ersten Wochen eher spärlich. Weil es mir peinlich war, vor Krumpfz zu singen. So wie es mir eben immer peinlich ist, vor anderen zu singen. Vor allem vor Fremden – und Krumpfz und ich kennen uns ja wirklich noch nicht lang!

Als ich dann nach ungefähr vier Wochen mit Krumpfz in meinem Leben einen ersten zarten Versuch unternahm, ihn mit meinem Gesang zu unterhalten, wurde dieser mit lautem Geschrei quittiert – was mich für mindestens eine Woche wieder in den Karpfen-Modus zurückversetzte. Schließlich wollte ich sein zartes Gehör nicht für immer schädigen.

Erschwerend kam hinzu, dass ich kaum noch Kinderlieder kannte. Bei den meisten, die mein Vater mir früher vorgesungen hatte, waren nur noch Textfragmente in meinem Kopf, die ich mit langen Summ-Passagen auffüllte, um die Melodie halbwegs am Laufen zu halten. „Weißt du, wieviel Mücklein spielen in der heißen Sonnenglut? Weißt du, wieviel Fischlein mhmhmhm in der mhmhmhm Wasserflut?“ war noch eine der weniger fragmentierten Textstellen in meinem Gedächtnis.

Irgendwann aber – es muss ein Tag gewesen sein, der mir extrem gute Laune bereitete – setzte ich trotz allem zu einem neuen Versuch an. Dieses Mal aber bemühte ich mich nicht um pädagogisch wertvolles Liedgut, sondern sang einfach das, was ich im Auto immer gesungen hatte. Und so reihte sich Frank Turners „I Knew Prufrock Before He Got Famous“ nahtlos an London Grammars „Oh Woman Oh Man“. Und plötzlich kamen mir auch andere Songtexte wieder in den Sinn. Da folgte beim Wickeln „An den Landungsbrücken raus“ von Kettcar lückenlos auf „Neigborhood #1“ von Arcade Fire und Tomtes „Die Schönheit der Chance“ – alles Lieder, die mich durch meine Studentenjahre begleitet hatten. Und mit den Liedern kamen die Erinnerungen wieder: durchtanzte Nächte mit Freunden, die inzwischen längst weit weg wohnen, Konzerte von Bands, die sich längst aufgelöst haben, Zukunftsvorfreude und -angst aus einer längst vergangenen Zeit.

Als dann Tom Petty diese Woche starb, kamen mir auf einen Schlag all seine Hits, die mein Vater mir in meiner Kindheit immer vorgespielt hatte, wieder in den Kopf. „Hey – I will stand my ground, and I won’t back down“, sang ich am Morgen nach seinem Tod aus voller Überzeugung mit Krumpfz auf dem Arm seinem Bäuerchen entgegenschaukelnd. Und vor meinem geistigen Auge sah ich mich wieder auf der Rückbank des vollgepackten Opel Kadetts meines Vaters sitzen und die norddeutsche Tiefebene an mir vorbeiziehen, während wir der Insel Fehmarn entgegensteuerten und Tom Petty uns den Urlaubs-Soundtrack von Kassette lieferte.

Vielleicht ist das genau das, was musikalische Früherziehung auch sein kann, nämlich das Bauen von musikalischen Brücken in die Erinnerung. Vielleicht ist es viel mehr Wert, dass Krumpfz irgendwann mal erzählen kann, wie seine Mutter ihm herrlich schief und voller Lücken „Weißt du wieviel Sternlein stehen“ vorgesungen hat, als dass er Töne sauber treffen kann. Und vielleicht ist es „eine Liebe zur Musik, eine Liebe zu den Tönen“ (Tomte), die ich an meinen Sohn weitergeben kann. Für den Rest sind dann die Musik-Kollegen verantwortlich.

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